Zeitfahrspezialist Martin plant Umschulung
Saint Malo (dpa) - Radprofi Tony Martin steht eine Typveränderung bevor. Nach den Weltmeisterschaften im September in Florenz soll die Metamorphose vom Zeitfahr-Spezialisten zum Klassementsfahrer beginnen.
„Tony hat den 'Motor', um die Tour zu gewinnen. Das beweist er im Zeitfahren“, meinte Teamarzt Helge Riepenhof, dessen Knowhow von Martin bei der Tour de France bisher hauptsächlich beim Versorgen schwerer Sturzverletzungen gefragt war. Am Mittwoch ist bei der 100. Tour de France aber noch einmal der Experte gefragt: Martin gilt beim Kampf gegen die Uhr auf dem Weg zum Kloster Mont-Saint-Michel über 33 Kilometer als Topfavorit auf den Etappensieg.
Seine Umschulung könnte hart werden. „Ich hoffe, er beginnt bald“, sagte Riepenhof, den das Unfallkrankenhaus Hamburg zur Betreuung des belgischen Teams Omega-Quick Step einsetzt. „Ich würde es gerne noch einmal versuchen, auf Gesamtwertung zu fahren“, sagte der 28-jährige Wahlschweizer und ist sich über die Konsequenzen im Klaren. „Ich werde dann wohl abnehmen müssen. Etwa vier Kilo müssen weg“.
Mit einem speziellen Diät- und Trainingsprogramm wird sich der zweifache Zeitfahr-Weltmeister den „Hungerhaken“ (Martin) wie Christopher Froome und Co. annähern müssen, um besser über die Berge zu kommen. Da zählt jedes Gramm. Den designierten Toursieger aus Großbritannien sieht Martin auf der 11. Etappe als härtesten Konkurrenten im Kampf um den Tagessieg an. Bei selber Körpergröße wie Martin wiegt Froome rund neun Kilo weniger, optisch scheint er fast ein Fall für eine unmittelbar bevorstehende Zwangsernährung zu sein.
„Tony muss seine großen Muskelpakete an den Oberschenkeln verringern, das geht mit speziellem Training. Auch an den Schultern hat er ziemlich viel Muskulatur“, sagte der Orthopäde und Unfallchirurg Riepenhof. Martins zukünftiges Traumgewicht dürfte dann unter 70 Kilogramm liegen - bei einer Körpergröße von 1,86 Meter.
Der Eintrag auf seiner Homepage - Eis essen als Interesse - dürfte dann nur noch schwer zum „neuen Tony“ passen. „Ich werde gucken, was ich umstellen kann, trainingsmäßig, körpermäßig“, erklärte der Wahlschweizer. Schon jetzt wirkt er - branchenüblich - alles andere als wohlgenährt.
Zu Beginn seiner Tour-Karriere, die ihm 2011 bisher einen Etappensieg im Zeitfahren in Grenoble einbrachte, liebäugelte er bereits mit dem Gesamtklassement. Auf dem Mont Ventoux, der auch bei der 100. Auflage am 14. Juli auf dem Programm steht, war Martin bei seinem Debüt 2009 sogar einmal Zweiter. Im selben Jahr trug er lange das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers. Aber danach war das Hochgebirge nicht mehr seine Welt - Martin konzentrierte sich mit Erfolg auf die Zeitfahren. „Die hat er nun genug gewonnen - er braucht neue Ziele“, sagte Riepenhof.
Martins Tourplatzierungen der vergangenen Jahre lassen nicht unbedingt darauf schließen, dass in ihm ein potenzieller Podiumskandidat für Paris schlummern könnte. 2009 wurde er 36., im Folgejahr 137., dann 44.. Im Vorjahr musste er mit einem Handbruch aufgeben und holte trotzdem wenig später bei den Olympischen Spielen in London Silber im Zeitfahren.
Eine einzigartige Leidensfähigkeit und eine Regenerationsgabe ohne gleichen sind die Empfehlungen, die Martin für eine Erfolg versprechende Umschulung mitbringt. Dazu kommt ein gesundes Selbstvertrauen, mit dem er trotz seiner Verletzungen nach dem Sturz zum Tourauftakt in das wichtige Zeitfahren nach Saint-Mont-Michel geht. „Ich bin extrem selbstsicher - alles andere als ein Sieg wäre zutiefst enttäuschend“, hatte er erklärt.