Erfolgreicher Jung will wieder Vielseitigkeits-Gold
Blair Castle (dpa) - Große Sprüche sind nicht seine Sache. Auch vor der Europameisterschaft in Blair Castle bleibt Michael Jung zurückhaltend, obwohl er zuletzt immer mindestens eine Goldmedaille mitnahm - egal ob bei EM, WM oder Olympia.
„Ich will immer gewinnen, aber das Pferd gibt es vor“, sagte der 33 Jahre alte Vielseitigkeitsreiter vor dem ersten Ritt in den schottischen Highlands am Donnerstag: „Ob ich Risiko gehen kann, das weiß ich immer erst eine Viertelstunde vor der Prüfung.“
Jung ist derzeit Deutschlands erfolgreichster Sportler. Doch ein Superstar ist er nicht, sondern eher unbekannt. Trotz der fast schon unheimlichen Serie von Siegen, die er seit dem Einzelsieg bei der WM in den USA hingelegt hat. Doppel-Gold feierte er sowohl bei den Olympischen Spielen in London als auch bei den Europameisterschaften 2011 und 2013. Das gab es noch nie.
Dass er trotz der beispiellosen Erfolge kein deutscher Sportheld ist, stört den 33-Jährigen nicht weiter. „Nee“, sagt der Reiter, der natürlich auch Erster der Weltrangliste und nur in der Pferdesport-Szene ein Star ist. Er findet das alles „ganz normal“. Kein Thema, mit dem er sich groß beschäftigt.
Jung würde sich wohl auch bei kompetenter Vermarktung kaum zum Sportstar eignen. Dafür ist er zu bescheiden, zu zurückhaltend und zu bodenständig. „Für unseren Michi stehen das Reiten und seine Pferde an oberster Stelle, danach kommt lange nichts“, sagt Vater Joachim, mit dem der Sohn im schwäbischen Horb einen Turnier- und Ausbildungsstall betreibt.
Auch eine Verletzung hält Jung nicht vom Reiten ab. Am Wochenende stürzte er beim berühmten Turnier in Burghley mit Rocana - und gewann anschließend als erster deutscher Reiter den großen Klassiker der Vielseitigkeit im Sattel von Sam. Ein Sieg in Burghley, das ist in der Vielseitigkeit in etwa das, was für Tennisspieler Wimbledon ist.
In Blair Castle reitet er nun „mit Tape und bandagiert“, berichtet er: „Das geht ganz gut.“ Jung sattelt vor der malerischen Schlosskulisse den erst achtjährigen Takinou. Der Einsatz des Nachwuchspferdes sei kein Risiko, versichert Bundestrainer Hans Melzer. „Der setzt sich auf kein Pferd, mit dem er nicht vorne mitreiten kann“, sagt der Coach: „Bei ihm weiß man, dass er und das Pferd bis auf das letzte i-Tüpfelchen vorbereitet sind.“
Im Gegensatz zu Jung ist Melzer für die deutlichen Worte und die Kampfansagen zuständig. „Natürlich wollen wir mit dem Team den Titel verteidigen“, betont der Bundestrainer: „Diesen Anspruch haben wir.“ In der Einzelwertung sieht Melzer in seinem Sextett gleich „drei Reiter, denen man ein Medaille zutrauen kann“.
Zum engsten Favoritenkreis gehören neben Jung die in der laufenden Saison sehr starke Ingrid Klimke (Münster) mit Hale Bob und Doppel-Weltmeisterin Sandra Auffarth (Ganderkesee) mit Opgun Louvo. Auffarth hatte Jung vor einem Jahr bei der WM im Einzel auf Platz zwei verwiesen. Oder anders ausgedrückt: Jungs schärfste Konkurrenz kommt auch bei der EM aus dem eigenen Team.