Totilas: Vom Wunderpferd zum Problemfall
Vechta (dpa) - Die Verzweiflung muss ziemlich groß sein. Wer den Trainer des größten Konkurrenten engagiert und wer bisher geächtete Übungsmethoden einsetzen will, der muss eine große Not verspüren.
Anders lassen sich die Ideen der Familie Rath-Linsenhoff mit Totilas kaum erklären.
Jener schwarze Hengst ist inzwischen vom Wunderpferd zum Problemfall geworden. Turnierabsagen sowie ein völlig missratenes Comeback bei einer Hengstvorführung in Vechta haben die Skepsis vieler Dressurfans wachsen lassen. Fassungslos haben Hunderttausende im Internet das Video des ersten Auftritts von Totilas mit Matthias Rath nach einer monatelangen Pause verfolgt: Das Pferd springt zur Seite und widersetzt sich dem Reiter mehrfach. Nach knapp zwei Minuten bricht Rath den Ritt ab, um nach weiteren zwei Minuten einen weiteren Versuch zu starten. Doch auch der zeigt gravierende Mängel.
„Da ist alles schief gegangen“, kommentierte Paul Schockemöhle, der Totilas 2010 für geschätzte zehn Millionen Euro in den Niederlanden gekauft hatte. „Er hat sich aufgeregt und hatte die Zunge unter das Gebiss bekommen.“ Besser sei es bei einem zweiten Auftritt in Vechta am vergangenen Sonntag gewesen, sagte Schockemöhle.
„Er wusste nicht, was er machen sollte“, kommentierte Bundestrainer Holger Schmezer Raths Comeback-Ritt mit Totilas. „Er ist ein bisschen hilflos herumgeritten.“ Er sei gespannt, wann Rath und Totilas wieder auf einem richtigen Turnier auftreten.
Rath bekommt das teure Pferd, das den Niederländer Edward Gal vor zwei Jahren zu dreimal WM-Gold getragen hatte, offensichtlich nicht mehr richtig in den Griff. Diese Erkenntnis scheint inzwischen auch bei der Besitzergemeinschaft um Schockemöhle und Raths Stiefmutter Ann Kathrin Linsenhoff gereift zu sein. Bisher wird der 27-Jährige von seinem Vater Klaus-Martin Rath trainiert.
Das Projekt Totilas soll nun ausgerechnet Sjef Janssen retten, der seit vielen Jahren mit dem niederländischen Team der größte Konkurrent der deutschen Dressur-Mannschaften ist. Der Bondscoach darf nach Intervention seines Heimatverbandes zwar erst nach den Olympischen Spielen beginnen. Doch schon jetzt gibt es heftige Kritik am Engagement des Trainers. Dessen Übungsform Rollkur ist hierzulande verpönt bis geächtet, weil der Pferdekopf dabei fest auf die Brust gezogen wird. Die meisten deutschen Dressur-Experten kritisieren die auch Hyperflexion genannte Methode. Ihrer Ansicht nach werden den Tieren Schmerzen zugefügt.
„Ich erwarte, dass trotzdem nach den deutschen Richtlinien trainiert wird“, sagte der deutsche Verbandspräsident Breido Graf zu Rantzau. Das geplante Engagement eines niederländischen Trainers durch die Familie Rath-Linsenhoff sei grundsätzlich „Privatsache“, sagte Rantzau: „Aber ob das gefühlvoll ist, die Beurteilung überlasse ich denen selber.“
Schockemöhle hält die Bedenken gegen Janssen für „ungerechtfertigt“. Der Totilas-Besitzer betonte: „Die Vorbehalte gegen ihn teile ich nicht. Da wird viel Stimmung gemacht.“ Zugleich dementierte Schockemöhle, dass ein Angebot für Totilas durch Gals neuen österreichischen Sponsor vorliege. „Es gibt nichts, und er ist ohnehin nicht zu verkaufen“, betonte der Pferdehändler aus dem niedersächsischen Mühlen.