Federer als Entfesselungskünstler bei Tennis-WM

London (dpa) - Auch mit 33 Jahren ist Roger Federer noch für eine Überraschung gut. Wurde der Rekord-Grand-Slam-Champion lange Zeit für seine magisch-zauberhaften Momente auf dem Court verehrt, so präsentierte sich der Schweizer Tennisprofi nun in der ungewohnten Rolle des Entfesselungskünstlers.

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Vier Matchbälle wehrte der doppelte Zwillingspapa im Halbfinale der ATP-WM gegen seinen Kumpel Stan Wawrinka ab, ehe er nach fast drei Stunden Schwerstarbeit auf dem Hartplatz in der O2-Arena von London seinen neunten Final-Einzug beim Jahresausklang der besten acht Profis der Saison bejubeln durfte.

„Ich fühle mich sehr glücklich. Stan hatte das Match auf dem Schläger, aber ich habe weiter an mich geglaubt und weiter gekämpft“, sagte Federer nach dem 4:6, 7:5, 7:6 (8:6)-Erfolg in 2:48 Stunden. Im dritten Satz holte er einen 3:5-Rückstand auf und wehrte bei Wawrinkas Aufschlag drei Matchbälle ab. Seinen eigenen ersten Matchball verwertete Federer mit einem frechen Stopp.

Und so hat es Federer im Jahr 2014 unabhängig vom Ausgang des Endspiels gegen den Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic endgültig geschafft, seine Kritiker Lügen zu strafen. Zwar hat er kein Grand-Slam-Turnier gewonnen und wartet seit Wimbledon 2012 auf eine Trophäe bei einer der vier wichtigsten Veranstaltungen. Zwar hat der von Boris Becker betreute Djokovic seine Attacke auf den Thron abgewehrt und Platz eins verteidigt.

Doch nach London reiste der Basler mit sechs Turniersiegen aus zehn Endspielen. Vor dem Finale gegen den Serben fehlten ihm nur noch fünf Erfolge, um als dritter Spieler in der Geschichte des Profitennis nach Jimmy Connors und Ivan Lendl auf 1000 Siege zu kommen.

„Ich bin wirklich sehr zufrieden, wie es gerade läuft. Aktuell bin ich auch wieder in einer Phase, in der ich sehr an mich glaube, und dementsprechend läuft es super“, sagte Federer nach seinem fast schon surreal wirkenden 6:0, 6:1-Erfolg im letzten Gruppenspiel gegen den schottischen Olympiasieger Andy Murray bei Sport1.

Und eines der wichtigsten Ziele der Saison steht für Federer ja erst noch an. Am kommenden Wochenende kämpft der Ausnahmesportler um einen Titel, der ihm in seiner imposanten Sammlung fehlt: die Krone im Mannschaftswettbewerb Davis Cup. Wieder und wieder betonte der Schweizer zuletzt die Bedeutung dieses Pokals, den er gemeinsam mit Wawrinka bei den heimstarken Franzosen im umgebauten Fußballstadion von Lille zum ersten Mal in die Schweiz transportieren will.

Mit der Nummer zwei (Federer) und vier der Welt (Wawrinka) gelten die Schweizer als favorisiert gegen das ausgeglichene französische Team mit Jo-Wilfried Tsonga (12.), Gael Monfils (19.), Julien Benneteau (26.) und Richard Gasquet (27.) - zumindest dann, wenn sich die Eidgenossen so präsentieren wie bei ihrem Samstags-Duell in London.

Mit einem Triumph im Davis Cup von der öffentlichen Bühne abzutreten, kommt für Federer aber nicht infrage. „So lange meine Frau das mitmacht, mache ich auch gerne weiter. Sie hat viel damit zu tun, dass es bei mir auf dem Platz so gut läuft“, sagte Federer Sport1. Und dann gibt es da ja noch einen Titel, der ihm fehlt: Bei Olympia 2016 in Rio könnte der dann 35-Jährige endlich Einzel-Gold gewinnen.