Federer vor US Open fast wieder der Alte
New York (dpa) - Roger Federers Blick war leer. Noch ungeduscht, in hellblauen Shorts und schwarzer Trainingsjacke ließ der Schweizer die Fragerunde über sich ergehen.
Desillusioniert und frustriert hockte der 17-malige Grand-Slam-Turniersieger da und sprach nach 43 Fehlern von „Selbstzerstörung“ in seinem Spiel. Als der einstige Regent des Herren-Tennis vor einem Jahr im Achtelfinale der US Open am Spanier Tommy Robredo scheiterte, waren die sportlichen Nachrufe schnell verfasst. Nein, ein Grand-Slam-Turnier würde Roger Federer nicht mehr gewinnen. Ja, die Zeit des entzauberten Magiers ist endgültig vorbei.
Was für ein Irrtum! Nach dem Seuchenjahr 2013 mit dem Zweitrunden-Aus in Wimbledon, permanenten Rückenproblemen und Niederlagen gegen Spieler wie Sergej Stachowski, Federico Delbonis oder Daniel Brands kehrt der seit kurzem 33-Jährige wie verwandelt nach New York zurück.
Als doppelter Zwillingsvater, als frisch gekürter Cincinnati-Champion, als Nummer drei der Welt - und vor allem und tatsächlich als einer der beiden Top-Favoriten auf den US-Open-Triumph. „Der Maestro schlägt zurück“, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ einen Tag vor Beginn des vierten und letzten Grand-Slam-Turniers des Jahres.
Federer tat dies aber nicht mit vollmundigen Versprechungen oder lauten Kampfansagen, sondern mit bemerkenswerten Darbietungen auf dem Platz. 49 Spiele und drei Turniere hat er in diesem Jahr schon gewonnen. Der Triumph bei der Masters-Veranstaltung in Cincinnati war der 80. Titel seiner außergewöhnlichen Laufbahn. Dort bezwang er nacheinander die gesetzten Andy Murray (9), Milos Raonic (7) und David Ferrer (6).
„Ich freue mich sehr auf das Turnier, weil ich das Gefühl habe, dass ich ein gutes Turnier spielen kann“, sagte Federer vor seinem Erstrunden-Match am Dienstag gegen den Australier Marinko Matosevic. Wenn es perfekt für ihn läuft, wird aus dem guten ein herausragendes Turnier. Titelverteidiger Rafael Nadal fehlt verletzt, der Weltranglisten-Erste und Boris-Becker-Schützling Novak Djokovic schwächelte zuletzt, Andy Murray ist auf der Suche nach der Form vergangener Tage. Auch die Auslosung meinte es gut mit Federer: Djokovic und Murray sind nicht in seiner Hälfte und damit erst im erneuten Montags-Endspiel am 8. September potenzielle Gegner.
Tatsächlich wirkt der Roger Federer des Spätsommers 2014 angriffslustig, selbstbewusst und aufgeräumt wie zu seinen besten Zeiten. Beim obligatorischen Ouvertüren-Pressekonferenz-Marathon wurde er gefragt, ob er dem werdenden Papa Djokovic schon ein Paar Tipps zum Vatersein auf der Tennis-Tour gegeben habe. „Er sieht mich, wie ich es mit Vieren schaffe, da sollte es mit einem doch ein Kinderspiel sein“, sagte er unter dem Gelächter der Presseleute über seinen Rivalen, dem er im Wimbledon-Finale unterlag.
Seit 1998 ist Federer als Profi auf der ATP-Tour unterwegs. Und noch immer „im positiven Sinne versessen“, wie es das „Tennismagazin“ formulierte. Er will in diesem Jahr unbedingt mit seinem Kumpel Stan Wawrinka den Davis Cup gewinnen, auch Olympia 2016 ist ein Ziel für den Schweizer. „Ans Aufhören denke ich nicht“, sagte Federer.
Als er am Samstag in einer modischen Strickjacke seiner eigenen Kollektion auf dem Podium saß, begrüßte er die Reporter lächelnd mit einem „Nice to see you“ und beantwortete ausführlich sämtliche Fragen zum verletzten Nadal oder zur Krise im amerikanischen Herren-Tennis. Und dann klang es doch fast wie eine ungewollte Kampfansage an die Konkurrenz, als er sagte: „Ich kann völlig befreit aufspielen.“