Rasen-Grand-Slam-Turnier Görges und Kerber in Wimbledon mit Final-Chance
London (dpa) - Angelique Kerber schrie gelöst ihre Freude heraus, Julia Görges fasste sich ungläubig mit beiden Händen ans Gesicht. Erstmals in einem halben Jahrhundert Profitennis sind zwei deutsche Damen ins Halbfinale von Wimbledon eingezogen.
Beiden fehlt beim berühmtesten Tennis-Turnier der Welt nur noch ein Sieg zum Finale, ein deutsches Endspiel auf den Rasenplätzen in London hat es bislang nur 1931 gegeben. „Es klingt ziemlich verrückt, die Chance zu haben, ein deutsches Finale in Wimbledon zu teilen“, sagte Görges. „Das klingt ziemlich cool. Es ist großartig fürs deutsche Tennis.“
Die 30-jährige Kielerin Kerber setzte sich gegen die Russin Darja Kassatkina 6:3, 7:5 durch und steht zum dritten Mal nach 2012 und 2016 in Wimbledon unter den besten Vier. „Ich denke, es gibt keine Favoritin mehr“, sagte sie. Die 29-jährige Görges folgte ihr mit dem 3:6, 7:5, 6:1 gegen die Niederländerin Kiki Bertens und feierte mit dem Erreichen ihres ersten Grand-Slam-Halbfinals ihren größten Erfolg. „Es ist unglaublich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das ist ziemlich unwirklich für mich“, sagte die Bad Oldesloerin. „Es ist das, wovon jeder Tennisspieler träumt.“
Erstmals seit 25 Jahren stehen wieder zwei deutsche Tennis-Damen im Halbfinale eines der vier wichtigsten Turniere. Zuletzt war das Steffi Graf und Anke Huber bei den French Open in Paris 1993 gelungen. „Das ist am Donnerstag schon ein ganz besonderer Tag für das deutsche Damentennis“, schrieb die Damen-Verantwortliche im Deutschen Tennis Bund, Barbara Rittner. „Ich bin mega stolz.“
Im Halbfinale am Donnerstag kann die zweimalige Grand-Slam-Siegerin Kerber gegen die letztjährige French-Open-Gewinnerin, Jelena Ostapenko aus Lettland, wie vor zwei Jahren das Endspiel erreichen. Gegen die 21-Jährige aus Riga hat Kerber noch nie gespielt. „Ich muss mein bestes Tennis spielen und ich will es auch zu genießen“, sagte Kerber. Nach der skurrilen Entwicklung im Damen-Tableau ist sie als Nummer elf die am höchsten gesetzte Spielerin im Halbfinale, Ostapenko folgt ihr als Zwölfte.
Die Weltranglisten-13. Görges fordert die US-Amerikanerin Serena Williams heraus, die nach ihrer Babypause ihr zweites Grand-Slam-Turnier bestreitet. In allen drei Vergleichen hat die Norddeutsche bislang das Nachsehen gehabt. Zuletzt unterlag sie der langjährigen Nummer eins bei den French Open in Paris. Dass es in diesen verrückten Wimbledon-Tagen allerdings keine Garantien gibt, dafür gab es Beispiele genug: Schließlich sind die Top Ten der Setzliste schon vor dem Viertelfinale ausgeschieden.
Auch Boris Becker hatte den beiden Schleswig-Holsteinerinnen für die Viertelfinals die Daumen gedrückt - und beide boten emotionale Auftritte. Kerbers Viertelfinale entwickelte am Ende mitreißende Spannung, als sie in sehenswerten Ballwechseln zunächst sechs Matchbälle ausließ. Nach einer überzeugenden Vorstellung nutzte die deutsche Nummer eins mit Nervenstärke ihren siebten Matchball. „Ich habe versucht, nicht daran zu denken, dass es Matchball ist und mich bis ans Limit gepusht“, sagte die Linkshänderin. „Sie hat mich ein bisschen geschickt. Ich hatte das Gefühl, dass ich wer weiß wie viele Kilometer gerannt bin.“
30 Jahre nach dem ersten Wimbledon-Sieg von Steffi Graf demonstrierte die Kielerin, warum sie inzwischen als Titelanwärterin gehandelt wird. Schlüssel war auch einmal mehr ihre Konstanz, ihre Gegnerin überließ ihr am Ende mehr als doppelt so viele Punkte mit vermeidbaren Fehlern. Kerber konnte sich immer wieder auf ihre Vorhand und ihre Fitness verlassen. Die Russin half bei ihren Aufschlagverlusten im ersten Satz mit Doppelfehlern kräftig mit. „Erfahrung und druckvolles, solides Spiel hat gesiegt“, kommentierte Rittner.
Görges kämpfte sich nach verlorenem ersten Satz zurück und erarbeitete sich zunehmend mehr Möglichkeiten beim Aufschlag von Bertens. Im zweiten Durchgang führte die Weltranglisten-13. mit 4:1. Sie rettete sich aber dann doch mit Mühe in Satz drei, den sie eindeutig dominierte. Als sie den ersten Matchball genutzt hatte, war sie erleichtert und ungläubig. „Für mich war es ein Moment zum Genießen. Es war ein Moment, den man verinnerlichen sollte.“