Roger Federer im Interview: "Mein Leben ist ein Traum"
Roger Federer über Tennis-Rivalen, das Alter und die Vorfreude auf die Gerry Weber Open.
Herr Federer, wenn man bestimmte Kommentare über Sie liest, kann der Eindruck entstehen, als stünde das Altenteil unmittelbar bevor. Ist das nicht nervend für einen 29-Jährigen?
Federer: Es ist weniger erfreulich, wenn sich da einige Leute etwas zusammenreimen, die nur wenig Ahnung von der Materie haben. Sicherlich war es nicht immer das Gelbe vom Ei, was ich in der jüngeren Vergangenheit gespielt habe. Wenn man einige Jahre Weltranglistenerster war und jetzt nur noch auf Position drei notiert ist, könnte man meinen, dass es einen Leistungseinbruch gegeben hätte.
Hat es aber nicht?
Nein. Ich spiele jetzt besser Tennis als vor fünf Jahren, als ich die Nummer eins war. Aber alle haben sich weiterentwickelt. Es gibt im Herren-Tennis momentan eine sehr dichte Spitze mit Rafael Nadal, Novak Djokovic, Andy Murray und mir, wohl auch noch mit Robin Söderling. Das ist für unseren Sport eine gute Situation, obwohl manche es gar nicht wahrhaben wollen, dass da oben vier, fünf Leute mit halbwegs identischer Klasse sind.
Dann ist Rang drei also nur eine Momentaufnahme?
Es hat einige Niederlagen gegeben, die in der Öffentlichkeit entsprechend registriert wurden. Aber Sie dürfen sich nicht vorstellen, dass ich darüber brutal enttäuscht war. Ich habe gelernt, mit Niederlagen umzugehen und ihnen sogar positive Seiten abzugewinnen.
Wann sehen wir Sie wieder auf der Überholspur?
Ich hoffe schon bald. Ich erwähnte bereits die enge Spitze, da wird durch die Bank mit 220 km/h aufgeschlagen. Aber die Unterschiede im Niveau sind nicht so gravierend. Obwohl Nadal auf Sand immer noch eine Klasse für sich ist. Wenn er sich auf diesem Untergrund seine Burg baut, dann ist er schwer zu knacken. Aber ich werde weiter dran arbeiten, mir ist es schließlich ja auch schon einmal gelungen.
Lange war es das ewige Duell Federer - Nadal, das die Tenniswelt elektrisierte. Plötzlich ist da ein Djokovic, der mächtig aufs Tempo drückt und in diesem Jahr mit 29 Siegen noch ungeschlagen ist. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?
Er hat ohne Frage eine beachtliche Konstanz. Auch er zog offensichtlich aus einer Niederlage die richtigen Schlüsse - und zwar aus der im Finale der US Open im letzten Jahr gegen Nadal. Das war damals eine große Chance für ihn, aber er hat es sehr gut verarbeitet, sie ausgelassen zu haben.
Was ist Ihr konkretes Ziel in sportlicher Hinsicht?
Kurzfristig möchte ich wieder die Nummer eins werden. Und ich will auch wieder ein Grand-Slam-Turnier gewinnen. Am ehesten traue ich mir das in Wimbledon zu. Wobei mir gerade einfällt, dass ich Paris auch schon gewonnen habe - also werde ich auch in Roland Garros angreifen. Der Daviscup spielt überdies eine Rolle, gegen Portugal wollen wir die nächste Runde erreichen. Natürlich würde ich gern auch einmal den Daviscup gewinnen, das ist ein Wunsch. Ich würde es kaum als Ziel formulieren - das würde zu viel Druck aufbauen für mich und andere. Insgesamt ist die mittelfristige Planung auf Olympia 2012 in London ausgerichtet.
Was macht Sie so zuversichtlich, dieses Programm zu stemmen?
Mein Fitnesszustand zum Beispiel. Ich hatte einige Jahre Probleme mit dem Rücken, ich würde den zwischenzeitlichen Zustand als fragil bezeichnen, obwohl mich nach außen hin womöglich eine ganz andere Aura umgab. Nämlich die, auf eine gewisse Art unverletzbar zu sein.
Ist jetzt gesundheitlich alles im grünen Bereich?
Ja, die Rückenprobleme sind behoben. Ich bin wieder in der Lage, so viel zu trainieren wie ich will.
Wie setzt sich Erfolg für Sie zusammen?
Man muss die richtige Balance finden zwischen Training, Matches und Familie, eingebunden ist da sicherlich auch noch die Außendarstellung mit Promotion- und Presse-Terminen.
Gehen Sie eigentlich gern in Pressekonferenzen?
Es ist schon etwas komisch, wenn man ein 6:3, 6:2, 6:3 erklären soll. Was soll man da groß sagen? Es ist wie in der Waschmaschine, man wird einmal durchgeschleudert. Mein Prinzip ist es freilich, möglichst unvoreingenommen in diese Runden zu gehen. Ich lasse mich also vorher nicht briefen, weil ich ursprünglich reagieren möchte.
Sie sprachen die Familie an, Ihre Frau Mirka und die beiden Zwillingstöchter Myla und Charlene sind stets mit auf Tour. Ist das ein Leben wie im goldenen Käfig, oder andersherum gefragt: Haben Sie genügend Freiräume?
Es ist nicht so, dass wir uns abgeschottet fühlen. Wir nehmen uns die Freiheiten, die wir brauchen. Manchmal sind wir mehrere Tage hintereinander unterwegs, manchmal ziehen wir uns aber auch bewusst zurück.
Wie turbulent war es eigentlich, als Ihre Frau mit den Mädels schwanger war?
Es war ganz gut was los, mal eine Untersuchung in Australien, mal eine in Florida, mal eine in der Schweiz. Aber die Schwangerschaft hat mich beflügelt, ich habe zum ersten Mal in Paris gewonnen und anschließend auch noch Wimbledon.
Klingt alles nach einem perfekten Leben . . .
Mein Leben ist ein Traum, dessen bin ich mir bewusst und auch dankbar dafür. Wenn mir jemand als 18-Jähriger gesagt hätte, ich würde eines Tages Wimbledon gewinnen, wäre das von mir sofort unterschrieben worden. Dass es nun sechs Wimbledon-Siege geworden sind, ist einfach unglaublich.
Wir wünschen Ihnen noch viele erfolgreiche Jahre auf der Tour - doch eines Tages werden auch Sie von der großen Bühne abtreten. Haben Sie sich schon Gedanken über die Zeit danach gemacht?
Vor fünf Jahren hätte ich eine solche Frage nicht wirklich ernst genommen. Das ist anders geworden. Tatsächlich denke ich darüber nach, was kommen könnte. Vieles würde wohl mit Tennis zu tun haben. Turnierdirektor in Basel, darüber wurde schon gesprochen. Vielleicht eine Arbeit als Coach, vielleicht Daviscup-Kapitän, da gibt es viele Möglichkeiten. Arbeit im Sponsorenbereich, insgesamt bin ich sehr interessiert in Business-Angelegenheiten. Es wird schon nicht langweilig werden.
Sie sind sozial engagiert, Ihre Stiftung betreut weltweit Projekte. Haben Sie selbst auch Zeit, vor Ort zu sehen, was mit dem Geld passiert?
Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit dafür. Im Februar war ich in Äthiopien und habe ein Kinderhilfsprojekt und eine Schule besucht. Es war wirklich beeindruckend und hatte auch eine gewisse humorige Note.
Erzählen Sie . . .
Wir saßen in einem Klassenzimmer, und ich stellte mich den Fragen der Kinder. Eines der Mädchen sagte, sie würde sich mit den Weißen nicht so auskennen, würde aber gern wissen, wie alt ich sei. Ich bat sie darum, es zu schätzen - und sie sagte ‚45’. Ich habe artig gelächelt , fühlte mich aber nicht wirklich geschmeichelt.
Womit wir wieder beim Eingangsthema sind: Sie werden noch keine 30 sein, wenn Sie Anfang Juni im deutschen Wimbledon aufschlagen. Welche Bedeutung hat das Rasenturnier von Halle für Sie?
Die Gerry Weber Open, jeder weiß das, zählen zu meinen Lieblingsturnieren. Hier habe ich oft den Grundstein für das erfolgreiche Abschneiden in Wimbledon legen können. Ich schätzte die familiäre Atmosphäre, nicht umsonst habe ich einen Lifetime-Contract unterschrieben. Solange ich also noch aktiv bin, und das kann durchaus bis Mitte 30 gehen, komme ich auch nach Halle.
Wo es in wenigen Wochen noch ein Hühnchen zu rupfen gilt.
Genau, im letzten Jahr habe ich zum ersten Mal ein Gerry-Weber-Finale verloren. Gegen meinen alten Weggefährten Lleyton Hewitt, er gewann durch einen Netzroller im Finalsatz. Da ist also noch eine Rechnung offen.