Schritt für Schritt zur Nummer 1 - Kerber „ruht in sich“

New York (dpa) - Mit Serena Williams spricht Angelique Kerber derzeit nur das Nötigste. Nicht, dass sich die zwei besten Tennisspielerinnen der Welt nicht mehr verstehen würden. Im Gegenteil.

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Die 22-malige Grand-Slam-Siegerin aus den USA nimmt ihre hartnäckigste Verfolgerin als Kontrahentin auf Augenhöhe wahr und ernst. Und Kerbers Respekt vor der sechsmaligen US-Open-Siegerin ist weiter ungebrochen.

Immer wieder liefen sich die Nummer eins und zwei der Welt in den vergangenen Tagen auf der weitläufigen Anlage im Flushing Meadows Corona Park über den Weg. Mal trainierte die eine direkt vor der anderen, mal trafen sie sich in der Umkleidekabine.

Ein bisschen Smalltalk, ein bisschen „Wie geht es so?“ Mehr nicht. „Nee, nee, das macht man nicht“, antwortete Kerber vor ihrem Viertelfinale gegen die Vorjahresfinalistin Roberta Vinci auf die Frage, ob es in den Gesprächen zwischen ihr und Williams auch um das mögliche Duell um die Nummer eins ginge.

Nach Kerbers Achtelfinal-Sieg gegen die zweimalige Wimbledonsiegerin Petra Kvitova stand fest, dass Williams (die am Montag durch ein 6:2, 6:3 gegen die Kasachin Jaroslawa Schwedowa weiterkam) das Endspiel erreichen müsste, um ihre Spitzenposition nicht zu verlieren.

Kerber selbst schiebt die Nummer-eins-Diskussion seit Tagen und Wochen von sich. Schon einmal hatte sie die Chance - und unterlag im Finale von Cincinnati kurz vor den US Open der Tschechin Karolina Pliskova. „Als Kind habe ich davon geträumt. Jetzt kann es passieren, aber ich darf mir deswegen keinen Druck machen und nicht zu viele Gedanken im Kopf haben“, sagte Kerber nach ihrem Sieg gegen Kvitova.

Genau dies scheint derzeit die größte Stärke der früher oft mental anfälligen und häufig nervenschwachen Norddeutschen zu sein. „Sie spielt im Moment immer den richtigen Ball bei engen Spielständen. Sie überdreht nicht, macht keine blöden Fehler, ruht in sich, flippt nicht aus. Sie hat sich in eine andere Spielklasse gespielt“, sagte Bundestrainerin Barbara Rittner über die Fed-Cup-Spielerin.

Während sich Sabine Lisicki oder Andrea Petkovic im Moment eher über die Tennisplätze quälen, erledigt Kerber ihren Job mit Leichtigkeit und Freude. „Ich weiß, dass ich gerade großartiges Tennis spiele“, sagte sie nach ihrem Drittrunden-Sieg. Noch vor einem Jahr wäre so ein Satz aus dem Mund der zurückhaltenden Kielerin undenkbar gewesen.

„Sie ist total fokussiert, konzentriert und selbstbewusster“, analysierte Rittner. Bei den Australian Open hatte Kerber zwar durch einen Finalsieg gegen Williams als erste Deutsche seit Steffi Graf einen Grand-Slam-Titel gewonnen. Doch nicht nur für Rittner hatte der Einzug in das Endspiel von Wimbledon mit der knappen Niederlage gegen Williams eine noch größere Bedeutung. „Dieses Wimbledonfinale hat sie total befreit“, sagte die Fed-Cup-Teamchefin in New York.

Schritt für Schritt nähert sich Kerber nun ihrem zweiten Grand-Slam-Titel. Drei Runden zum Aufwärmen gegen Polona Hercog, Mirjana Lucic-Baroni und Catherine Bellis und das letztlich souverän gewonnene Achtelfinale gegen Kvitova haben die Rolle Kerbers beim vierten und letzten Grand-Slam-Turnier der Saison manifestiert.

Zum zweiten Mal nacheinander durfte sie in der Night Session im Arthur-Ashe-Stadium antreten. Auch ein Ausdruck von Respekt und der Hoffnung der US-Open-Macher auf gute Unterhaltung für die teuer zahlende Kundschaft in der größten Tennis-Arena der Welt. „Es war ein langer Prozess“, sagte Kerber nach ihrem 6:3, 7:5-Erfolg gegen Kvitova und analysierte selbstbewusst: „Heute weiß ich, dass ich die großen Turniere gewinnen kann, dass ich enge Matches gewinnen kann und dass ich auf den großen Plätzen gegen die Großen gewinnen kann.“

Bis zum Endspiel sind es noch zwei Schritte. Im Viertelfinale wartet am Dienstag Roberta Vinci. Die Italienerin hatte im vergangenen Jahr im Halbfinale völlig überraschend Serena Williams aus dem Turnier geworfen. Das Spiel hat Kerber damals nicht gesehen, aber sie ist gewarnt und sagt deshalb: „Es ist noch ein weiter Weg.“