Spiel, Satz - und lauf! - Die Ballkinder von Wimbledon

London (dpa) - Aufgestellt in acht langen Reihen, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, den Blick starr geradeaus, die Haltung schnurgerade und völlig reglos: So sehen die Ballkinder des berühmten Tennisturniers von Wimbledon aus.

Das Training wenige Wochen vor dem Turnier ist hart - in der Übungshalle am Randes des Centre Courts könnten die Jungen und Mädchen mit der Erkennungsnummer auf dem Bauch auch als Rekruten der US Army durchgehen.

Wenn am kommenden Montag auf dem Heiligen Rasen vor den Toren Londons die 93. All England Championships starten, dann muss alles sitzen - Rafael Nadal, Serena Williams und ihre Mitstreiter brauchen Handtücher, Trinkflaschen und vor allem eines: immer wieder Bälle.

Wenn die Fernsehkameras aus aller Welt auf die Kinder von Wimbledon gerichtet sind, dann wirken diese oft ein wenig wie kleine Soldaten. Die militärisch anmutende Haltung der „Ball Boys or Girls“ („BBGs“) ist in Wirklichkeit das Ergebnis von fast fünf Monaten hartem Training. Die 14- bis 18-Jährigen lernen nicht nur, Bälle perfekt zu rollen und mit einem Handtuch in der Hand zu den Spielern zu sprinten. Sie wissen am Ende des Drills auch, wie man im Gleichschritt läuft und dass man jeden Satz den Spielern gegenüber mit „Sir“ oder „Miss“ zu beenden hat. Der Auswahlprozess dabei ist hart: nur rund 250 der fast 1000 Bewerber schaffen es bis in die letzten Wochen des Trainings und damit auf den Heiligen Rasen.

In der Übungshalle hat das Aufwärmprogramm begonnen. Sprints, Liegestützen und Sprünge stehen an, vor den wachsamen Augen der Trainer. Die Schüler tragen Nummern, die unermüdlich von den Trainern über den Platz gerufen werden. „63, streck die Arme mehr durch!“, schallt es von der anderen Seite. Die Nebenhalle des berühmten All England Lawn Tennis and Croquet Club wird drückend heiß.

„In den letzten Wochen vor dem Turnier sind hier alle besonders angespannt“, sagt Sarah Goldson, seit zwei Jahren Trainerin der Ballkinder. Sie und fünf weitere mit Klemmbrettern bewaffnete Coaches laufen am Rande des Tennisfeldes entlang - bereit, jeden Fehler zu notieren. Auf dem Platz wird unterdessen der Ernstfall geprobt. „Was wir wollen, sind Fitness, gute Konzentration, fundiertes Wissen über das Spiel und natürlich gute Techniken im Rollen und Werfen. Das sind die Grundvoraussetzungen, die wir hier innerhalb von fünf Monaten noch weiter verfeinern“, erklärt Sarah Goldson. Diese Fertigkeiten trainieren sie einmal pro Woche für zweieinhalb Stunden.

Nicht alle sind jedoch Tennisfans. „Ich mag die Sportart, hab aber nie wirklich selbst gespielt“, gesteht Balljunge Dylan, 14. Für ihn ist dennoch ein Traum wahr geworden, als er zum zweiten Mal ausgewählt wurde. „Es ist einfach eine Ehre, dabei zu sein und mit Spielern wie Roger Federer und Nadal auf dem Platz zu stehen“. Als er an seinen Platz sprintet, nimmt er die Position des Zuwerfens ein: stockstarre Haltung, den Arm mit dem Ball kerzengerade zum Himmel, wartet er darauf, dass der Spieler die Filzkugel anfordert.

Die Auswahl der Jugendlichen wird aus 29 Schulen getroffen und von Lehrern entschieden - hauptsächlich aus dem Londoner Südwesten, im Umfeld Wimbledons. Anschließend wird von den Trainern selektiert, wer im Sommer für zwei Wochen die begehrte Ralph-Lauren-Uniform tragen wird. „Ein Balljunge oder Ballmädchen zu sein, ist sehr prestigeträchtig und kann auch ein Karriere-Sprungbrett sein“, verrät Sarah Goldson, „es geht um Disziplin.“

Und wenn mal etwas schief geht? „Wichtig ist, wie ihr mit den Fehlern umgeht“, schärft Sarah Goldson den Jugendlichen nach dem Training ein. Das Turnier kann für die „BBGs“ schnell zum „Walk of Shame“ werden. Keiner will im weltweiten Fernsehen so zu sehen sein wie der Balljunge von den French Open 2011. Er war aufs Feld gelaufen, noch ehe der Ballwechsel zu Ende war - das Missverständnis und das anschließende Sieben-Tage-Regenwetter-Gesicht des Jungen hat mittlerweile über eine Million Aufrufe bei YouTube.

Das Training ist beendet, 50 Jugendliche gehen nach Hause. Wie alle anderen Schulkinder machen sie Hausaufgaben oder treffen sich mit Freunden. Von Montag an wird Sarah Goldson sie vor Tausenden von Zuschauern aufs Spielfeld des Centre Courts von Wimbledon führen. „Mein stolzester Moment“, verrät die Trainerin - von den Kindern ganz zu schweigen.