Herr Helmer, beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) ist in dieser Woche eine Stelle frei geworden – die des Präsidenten. Wäre das was für Sie?
Interview Thomas Helmer: „Der Kader der Bayern ist nicht groß genug“
Thomas Helmer hat beim BVB und dem FCB gespielt. Vor dem Gipfeltreffen spricht er darüber, was eine Niederlage für die Münchner bedeuten würde und erinnert sich an ein Missgeschick als Bayern-Spieler in Dortmund
Thomas Helmer: Das können sich viele gerade vorstellen (schmunzelt). Man denkt ja, dass man nicht so viel falsch machen kann wie der Vorgänger. Deswegen glauben alle Ex- Spieler – meine Person eingeschlossen – dass wir das können. Nein, im Ernst: Ich finde, dass DFB und Nationalelf zuletzt nicht gut kommuniziert haben. Nicht nur jetzt , auch letztes Jahr schon. Der Verband gibt derzeit kein gutes Bild ab.
Und das macht die Suche nach einem neuen Präsidenten nicht leichter.
Helmer: Genau. Eigentlich ist das ja ein schönes Amt. Aber wenn man sieht, dass alle Präsidenten zuletzt vorzeitig gehen mussten – das ist keine Werbung.
Könnten Sie sich das Amt denn vorstellen?
Helmer: Ich wurde nicht gefragt, deswegen stellt sich die Frage nicht. Wir Ex-Profis bilden uns natürlich immer ein, dass wir vom Fußball einiges verstehen. Reinhard Grindel musste sich in diese Thematik erst einmal einarbeiten, das hat es für ihn nicht einfacher gemacht.
Grindels Glaubwürdigkeit war ja auch eine seiner Schwachstellen.
Helmer: Wenn da jetzt jemand kommen würde, der einen Namen hat in der Branche, hätte das schon eine andere Wirkung. Ob‘s dann wirklich besser wird, ist dann die Frage. Die Außenwirkung wäre aber erst einmal eine andere.
Das würde dann für einen Kandidaten wie Christoph Metzelder sprechen.
Helmer: Ja. Wobei ich mir immer denke: Der ist viel zu jung dafür (lacht). Aber er ist smart, kann sich gut artikulieren, hat eine Erfahrung im Ausland gemacht. Warum nicht? Ich würde ihn aber eher als Manager sehen, bei Schalke zum Beispiel.
Reinhard Rauball gilt vielen als Idealkandidat, fällt aber mit 72 Jahren über die Altersgrenze.
Helmer: Er wäre wirklich eine gute Lösung. Er hat mich ja zu Dortmund geholt damals und ich habe immer noch ein fast freundschaftliches Verhältnis. Ich schätze ihn sehr. Das Problem: So einen wie ihn gibt es eigentlich nicht nochmal.
Kommen wir zum Bundesliga-Gipfel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund. Ist jetzt endlich die Zeit für ein 2:2 gekommen? Das tippen Sie doch immer, wenn das Spiel ansteht.
Helmer: Ja! Und bislang ist es noch nie dazu gekommen. Deswegen ist es diesmal endlich so weit. Im Hinspiel war ich knapp davor, Dortmund hat erst in der Schlussphase das 3:2 gemacht. Wobei dieses Ergebnis den Dortmundern mehr helfen würde.
Wäre Dortmund bei einem Sieg schon durch?
Helmer: Noch nicht. Aber ich hoffe, dass der BVB dann aus dem verspielten Neun-Punkte-Vorsprung gelernt hätte. Der psychologische Vorteil wäre riesig. Das Spiel gegen Wolfsburg am vergangenen Wochenende fand ich schon beeindruckend: Dortmund hat bis zuletzt dran geglaubt, obwohl sie nicht gut gespielt haben. Ähnlich wie Bayern gegen Heidenheim. Ich glaube, dass viel von der Mentalität abhängen wird.
Im Fall einer Bayern-Niederlage: Wie sähen dann die Perspektiven für Niko Kovac aus?
Helmer: Ich glaube, es ist für ihn egal, wie die Saison ausgeht. Die Bayern werden Niko nächstes Jahr eine Mannschaft hinstellen, mit der sie Titel und Ergebnisse einfordern. Niko war sehr geduldig, als er kam. Er hat keine neuen Spieler gefordert, sondern akzeptiert, was ihm gegeben wurde. Deswegen hat er jetzt auch einen Bonus. Er wird an der neuen Saison gemessen werden. Bemerkenswert bei ihm fand ich, wie er die Bayern aus der Krise im Herbst geführt hat. Nur die Aussagen von ihm nach dem Freiburg-Spiel haben mir nicht so gefallen.
Kovac erkor die Partie gegen Dortmund zum Alles-oder-nichts-Spiel. Wenn man das verliere, so Kovac, sei es das gewesen mit der Meisterschaft.
Helmer: Ja. Das kenne ich nicht von Bayern – aufgeben. Das war wohl aus der Enttäuschung heraus.
Die Bayern haben für den Sommer eine Transfer-Offensive angekündigt. Hernández und Pavard sind schon verpflichtet. Kann Dortmund da wirklich noch er Herausforderer sein?
Helmer: Wenn der BVB Meister wird, wäre das beflügelnd. Aber es wird sicherlich viel schwieriger für alle anderen. Wie Dortmund den Umbruch jetzt aber geschafft hat, ist schon auch eine tolle Leistung. Die müssen sich jetzt stabilisieren.
Aber glauben Sie, dass ein Spieler wie Jaden Sancho länger beim BVB bleibt, wenn er so weiter spielt?
Helmer: Wahrscheinlich nicht. Aber dann müsste Dortmund eben einen neuen Sancho suchen. Dass es geht, zeigen andere Vereine auch.
Bayern hat 80 Millionen Euro für Hernández ausgegeben. Ist da überhaupt noch ein Wettbewerb möglich?
Helmer: Ich bin da immer noch ein bisschen Romantiker. Ablösesummen sind keine Garantie für Titel. Natürlich sind Hernández und Pavard junge, gute Spieler. Aber bei Bayern zu spielen, ist nochmal etwas anderes. Selbst Hernández, der gerade bei Atlético Madrid spielt, wird sich erst einmal an diesen höheren Druck gewöhnen müssen. Bei Bayern darf man kein Spiel verlieren, das ist einfach ein anderer Anspruch.
Das Pokalspiel gegen Heidenheim (5:4) dürfte bei den Bayern nicht als beste Generalprobe durchgehen.
Helmer: Dieses Spiel hat wieder belegt, dass der Kader der Bayern nicht groß genug ist. Viele Wechselmöglichkeiten gab es für Niko Novac nicht mehr. Ich habe auch seine Aufstellung nicht verstanden, wie auch schon gegen Freiburg nicht. Lewandowski auf der Bank? Ohne ihn geht es nicht, nicht einmal gegen Heidenheim. Ich weiß nicht, warum Martínez draußen saß. Thiago, der auf seiner Position gespielt hat, ist einfach kein Defensivspieler. Auch James und Goretzka sind keine Abräumer.
Heidenheims Trainer ist Frank Schmidt, der Sie als Bayern-Spieler von Vestenbergsgreuth 1994 aus dem Pokal geworfen hat. Haben Sie in den letzten Tagen mal wieder an dieses legendäre Spiel gedacht?
Helmer: Ich habe vor allem dran gedacht, wie hässlich unsere Trikots damals waren: Grün und Gelb! Das waren die totalen Seuchentrikots! Gefühlt haben wir nie in denen gewonnen. Vor Frank Schmidts Leistung als Trainer habe ich übrigens allergrößten Respekt.
Hätten sie gedacht, dass das Meisterschaftrennen nochmal so spannend werden könnte? Dortmund war schon neun Punkte vorne.
Helmer: Wenn man bei Bayern gespielt hat, weiß man: „aufgeben“ kommt in deren Wortschatz nicht vor. Dortmund hat sich eine Schwächephase genommen, die Bayern haben das genutzt. Dass der FCB den Rückstand so schnell aufholen konnte, hätte ich aber nicht gedacht. Und als sich viele sicher waren, dass nun alles für die Bayern spricht, kommt dieser Punktverlust in Freiburg.
Den Ausfall von Marco Reus konnte der BVB nicht kompensieren. Als er verletzt war, kam die Krise.
Helmer: Ja, weil er ein überragender Fußballer ist, dazu ist er auch noch Kapitän. Für ein Spiel – wie am Wochenende, als er wegen der Geburt seines ersten Kindes fehlte – kann man ihn schon mal ersetzen. Es ist gut, dass er am Samstag gegen den FC Bayern spielen kann.
Reicht es am Ende für den BVB?
Helmer: Ich sehe Vorteile auf der Dortmunder Seite. Bei ihnen ist das Selbstvertrauen wieder da. Und ich mache mir Sorgen um die Defensive der Münchner, die Abstimmung ist einfach nicht gut. Aber ein anderer Meister als in den letzten sechs Jahren wäre mit Blick auf die Spannung nicht schlecht.
Jerome Boateng feiert am Samstagabend eine Party in der Disko P1 – auch wenn der FC Bayern verliert. Keine allzu clevere Idee, oder?
Helmer: Das sehe ich nicht so kritisch. Nächste Woche steht für die Bayern kein Spiel an. Und Boateng will sein Magazin promoten, das ist heute einfach so. Dass er sich davon ablenken lässt, glaube ich nicht. Dafür ist er viel zu sehr Profi. Wir sind früher auch nach Niederlagen rausgegangen.
Was erwarten Sie für ein Spiel?
Helmer: Dortmund kann seinen Stil nicht ändern, die werden nach vorne spielen. Und bei Bayern sehe ich mit Coman und Gnabry große Chancen über die Außen, wo Dortmund relativ anfällig ist. Es wird ein Spiel mit offenem Visier.
Bleibt Ihnen als Spieler eine Partie zwischen dem BVB und dem FCB besonders in Erinnerung?
Helmer: Ja. Nach meinem Wechsel von Borussia Dortmund zum FC Bayern war eines der ersten Auswärtsspiele mit den Bayern das in Dortmund. Ich war vor dem Spiel total nervös. Und verwirrt wie ich war, bin ich beim Warmmachen auf die Südtribüne der Dortmunder zugelaufen, so wie ich es als BVB-Spieler immer getan habe...
Keine gute Idee.
Helmer: Das hab ich zu spüren gekommen. Je näher ich der Süd gekommen bin, desto lauter ist das Pfeifkonzert geworden. Als ich gemerkt habe, was ich da tue, bin ich schnell in die andere Ecke gelaufen. Das Spiel lief dann bestens für mich. Ich habe das 1:0 gemacht, dann haben sie mich in Ruhe gelassen. Das zweite habe ich sogar noch vorbereitet, wir haben 2:1 gewonnen.