Turner am Scheideweg: Ein Hambüchen reicht nicht

Sofia (dpa) - Erst lächelte Fabian Hambüchen mit seinen weiblichen Fans für ein Foto beim Abschieds-Bankett, doch gegen Mitternacht lag er schon wieder auf der Massage-Pritsche.

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„Der Rücken schmerzt schon noch, deshalb bin ich vorzeitig weg vom Bankett und habe mich noch in die Hände des Physios begeben“, meinte Hambüchen am Tag nach seinem Missgeschick mit dem zunächst böse aussehenden Reck-Absturz bei der Turn-EM in Sofia.

Gerade weil seine Trainingsmühen keine Belohnung in Form der zwölften EM-Medaille fanden, ist der deutsche Vorturner aus Wetzlar nun heiß auf die Weltmeisterschaften im chinesischen Nanning vom 3. bis 12. Oktober. „Das ist der Saison-Höhepunkt. Und ich werde alles tun, um dort topfit zu sein.“ Der Plan bis zur WM steht, auch wenn das Studium an der Sporthochschule Köln mit mindestens zwei Prüfungen im Juli auch Tribut fordert. Im Juni wird Hambüchen mit US-Turner Sam Mikulak gemeinsam in Florenz trainieren, wo die Freundin des Amerikaners studiert. „Die Bücher und der Laptop werden dann immer dabei sein“, versprach sein Vater Wolfgang Hambüchen.

Gar nicht in die Saisonplanung passt den Hambüchens der Termin der deutschen Meisterschaften am 23./24. August in Stuttgart. „Das ist aus meiner Sicht zu früh, weil für die WM erst im Oktober Bestform gefragt ist“, meinte Wolfgang Hambüchen und deutete scherzhaft an, dass sich Fabian daher in Stuttgart mit „möglichst schlechter Form“ vorstellen werde, um in Nanning um die Medaillen kämpfen zu können. Vor der WM wird die gesamte Riege noch ein zweiwöchiges Trainingscamp in Japan absolvieren.

Um die Wettkampfform seines bekannt ehrgeizigen Ausnahmeturners muss sich Cheftrainer Andreas Hirsch also keine Gedanken machen. Dafür hielt es der Berliner für angebracht, anderen in seiner Riege einen „Weckruf“ zu geben. „Wir müssen uns Gedanken machen, was wir im Vorfeld falsch gemacht haben und ob wir nicht deshalb die Team-Medaille verpasst haben“, meinte er. Vor allem Marcel Nguyen kann sich seiner Kritik nicht entziehen. „Nach London kam er am Reck mit Ausgangswert 7,0, hier bietet er 6,2 an und hat nicht die beste Haltung“, nannte er als Beispiel. Es ist offensichtlich, dass dem Coach die langen Werbetouren des Olympia-Helden nach Hongkong nicht so recht behagen.

Nguyen selbst sieht seine Form nach zwei knapp verpassten EM-Finals an Ringen und Barren nicht so kritisch und verabschiedet sich nun erstmal zum Urlaub nach Ibiza. Im Juni stehen aber schon wieder für zehn Tage Sponsoren-Termine in Hongkong an.

Ein Riesenproblem ist für Hirsch, dass aus dem Nachwuchs zu wenig Druck kommt, der den Etablierten das Leben schwer macht. So reichte es für Nguyen auch ohne Intensiv-Training locker zum Sprung ins EM-Team. Doch mit Blick auf Olympia in Rio muss der Stuttgarter Sportsoldat auf jeden Fall wieder zulegen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Im Moment scheint nicht klar, ob bei ihm die Priorität eindeutig auf dem Turnen liegt.

Gedanken um die Zukunft muss sich auch der Europäische Turn-Verband UEG machen. Die Attraktivität der Sportart scheint im Sinken, nachdem in Sofia zum dritten Mal nach Montpellier und Moskau die Titelkämpfe fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden, obwohl die Turn-Wettkämpfe bei Olympia stets zu den Quotenrennern gehören. Doch Präsident Georges Guelzec hat keine Patent-Konzepte parat und bedauert, dass es immer weniger Bewerber für die kostspieligen Veranstaltungen gibt. Als „einer EM unwürdig“ hatte Andreas Hirsch die leeren Traversen in der Armee-Arena bezeichnet, und auch alle Topstars bedauerten in die Sofia die fast gespenstische Kulisse.