Ukraine-Boykott bei Paralympics abgewendet

Sotschi (dpa) - Ein persönliches Treffen mit Wladimir Putin hat einen Paralympics-Boykott der Ukraine im letzten Moment verhindert.

Foto: dpa

Wenige Stunden vor der bunten Eröffnungsfeier mit mehreren großen Feuerwerken und Athleten aus 45 Nationen bestätigte Verbandspräsident Waleri Suskewitsch die Teilnahme seines Teams, nachdem ihn Russlands Präsident am Vorabend für eine halbe Stunde empfangen hatte. „Ich hoffe, dass der Wunsch nach Demokratie und Menschenrechten und nach Frieden erhöht wird, vor allem von Putin“, sagte Suskewitsch und betonte: „Die ukrainische Mannschaft hat den herzlichsten Wunsch nach Frieden für unser Land, Europa und die Welt.“

Die Ukrainer hatten tagelang mit vorzeitiger Abreise wegen des Krim-Konflikts gedroht, letztlich rangen sie sich zur Teilnahme durch und setzten bei der Eröffnungszeremonie ein erlaubtes politisches Zeichen: Fahnenträger Michail Tkatschenko fuhr beim Einmarsch der Nationen mit seinem Rollstuhl als einziger Ukrainer überhaupt in die Fischt Arena ein. Er verzog kaum eine Miene, wurde aber vom Publikum mit ermunterndem Applaus bedacht. Das deutsche Team um Fahnenträgerin Andrea Rothfuss verzichtete als Zeichen stillen Protests darauf, wie angedacht deutsch-russische Fähnchen zu tragen. Die Politik war beim mehrstündigen Spektakel mittendrin. Auch, nachdem Putin die Spiele um 21.37 Uhr Ortszeit eröffnet hatte.

„Wir bemühen uns um eine Sache: Dass es keinen Krieg gibt während der Paralympics, dass wir Frieden genießen können“, kommentierte ein emotionsgeladener Suskewitsch mittags im völlig überfüllten Raum „Dostojewski“ des Main Press Centers von Sotschi. „Ich bete dafür. Die Paralympics können der Welt helfen, Frieden zu finden.“ Kremlchef Putin selbst gab sich im Konflikt nach außen eher milde. „Ich hoffe, dass die Spiele die Spannungen rund um den Ukraine-Konflikt verringern werden“, sagte er der Agentur Interfax zufolge.

Von deutscher Seite erhielt das ukrainische Team viel Anerkennung. „Das finde ich ein mutiges Zeichen, an der Stelle zu zeigen: Wir sind hier als nationales Team eines souveränen Staates“, sagte Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensport-Verbandes. „Das ist stärker als wenn sie gesagt hätten, wir boykottieren, weil jetzt alle Augen auf die Ukraine gerichtet sind“, urteilte er.

Fast eine Stunde dauerte die spontane Pressekonferenz von Suskewitsch, sonst eher ein No-Name auf der internationalen sportpolitischen Bühne. Der Chef der ukrainischen Delegation ließ keinen Zweifel daran, dass seine Mannschaft im Fall eines Kriegsbeginns während der Spiele sofort abreisen werde. „Meine Angst ist, dass trotzdem etwas Unheilvolles passieren kann. Beim Allerschlimmsten gehen wir heim“, sagte er. „Während der Paralympics sollte man Schritte unternehmen, um den Konflikt zu deeskalieren. Jeder Schritt in Richtung Krieg sollte ausgeschlossen werden.“

Ganz viel Pathos hatten die Ukrainer schon am Donnerstagabend bei der Willkommens-Zeremonie im Athletendorf von Krasnaja Poljana gezeigt. Die Athleten hatten laut ihre Nationalhymne mitgesungen und angesichts der Krim-Krise mit Sprechchören („Frieden für die Ukraine“) auf sich aufmerksam gemacht. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) reagierte daraufhin am Freitag mit einer offiziellen Untersuchung, dem ukrainischen Team drohen Sanktionen.

Es werde geprüft, ob Teammitglieder gegen die Charta der Spiele verstoßen hätten. „Wenn es ein politischer Protest gewesen sein sollte, wären wir enttäuscht“, sagte ein IPC-Sprecher, „hier in Sotschi soll der Sport und nicht die Politik im Vordergrund stehen“.

Suskewitsch berichtete von bewegenden Eindrücken selbst von vielen russischen Freiwilligen bei der Zeremonie. „Einfache Passanten riefen uns etwas zu, man hörte nur das Wort Frieden, es gab keinen Unbeteiligten.“ Als die Nationalhymne ertönte und pikanterweise das russische Militär dazu salutierte, „hatten alle Tränen in den Augen, als wir an unser Volk und unser Land dachten“, kommentierte er und ergänzte: „Wir haben den Beschluss gefasst, die Fahne einer unabhängigen, souveränen Ukraine zu hissen.“

Abseits der Politik sorgte der erste Doping-Fall der Spiele für Aufsehen. Der italienische Sledgehockey-Spieler Igor Stella wurde positiv auf das anabole Steroid Clobetasol getestet. Der 23 Jahre alte Athlet wurde bis zur Öffnung der B-Probe suspendiert.