Wie Korkut das Schwabenland endgültig erobern will
Anfangs wurde der Trainer kritisch beäugt, dann hat er alle überzeugt. Hält die Euphorie? Sportdirektor Reschke hat sehenswert eingekauft.
Stuttgart. Wie das immer so ist. Das zweite Jahr nach dem (Wieder-)Aufstieg in die Bundesliga ist das schwerste. Trotzdem verbreitet das, was Sportvorstand Michael Reschke in kürzester Zeit beim VfB Stuttgart realisiert hat, Zuversicht. Der 60-Jährige hat die Mannschaft sinnvoll verstärkt, es ist eine gesunde Mischung aus Erfahrung, Routine und technisch und taktisch bestens ausgebildetem, vorwärts drängendem Nachwuchs entstanden. Viele halten Europa schon vorzeitig für realistisch. Aufbruch zu neuen Ufern?
Diese Frage ist Michael Reschke anfangs häufig gestellt worden. Im Laufe der Zeit haben sich die Fragen allerdings erledigt, weil der Stuttgarter Sportvorstand einen sehr guten Job macht. Das kann er nur, weil er über sehr gute Kontakte verfügt, die hatte er schon, als er für Bayer Leverkusen und den FC Bayern München „geschafft hat“, wie der Schwabe sagt. Reschke ist es gelungen, aus dem Wiederaufsteiger eine Mannschaft zu machen, der schon in der kommenden Saison mehr zugetraut wird als Rang sieben. „Ich lege mich fest, mit dem Abstieg werden wir nichts zu tun haben.“ Daran wird er sich messen lassen müssen.
Diese Frage beschäftigt die Fans bis heute, und das nicht nur deshalb, weil Aufstiegstrainer Hannes Wolf über große Sympathien und Achtung in der Szene verfügte. Präsident Wolfgang Dietrich sagt, Wolf habe selbst die Reißleine gezogen, weil der Draht zur Mannschaft gerissen war. Andere behaupten, Erfolgsmensch Reschke habe die Reißleine gezogen und in Tayfun Korkut einen Trainer engagiert, den er seit langem kennt. Der Widerstand gegen Korkut war immens, weil sich die Fans nicht vorstellen konnten, dass ausgerechnet beim VfB Stuttgart ein Mann Erfolg haben soll, den er vorher als Trainer noch nirgendwo hatte. Korkut nahm die Herausforderung an und bestand sie mit Bravour. Eine Garantie für die neue Saison ist das aber nicht.
Das Problem in der vergangenen Saison war die Zentrale. Beim VfB fehlte ein Denker und Lenker. Reschke hat deshalb Daniel Didavi aus Wolfsburg zurück nach Stuttgart geholt. Zuvor war ihm das auch schon mit Mario Gomez gelungen. Außerdem verpflichtete Reschke Gonzalo Castro von Borussia Dortmund. Auch den kennt Reschke aus seiner Leverkusener Zeit. Mit diesen beiden Spielern füllt der VfB Stuttgart eine wesentliche Lücke. Man kann erwarten, dass die Defensive in der kommenden Saison besser mit der Offensive harmoniert, vermutlich wird sich die Balance im Spiel verbessern. Ob die Reise deshalb schon Richtung Europa geht, ist aber sehr offen.
Eine entscheidende. Auch Wolfgang Dietrich wurde zu Anfang angefeindet, als ehemaliger Sprecher des umstrittenen Bahnprojektes Stuttgart 21 besitzt der Mann nicht eben einen optimalen Ruf. Aber Dietrich setzte sich durch, entschied sich gegen Jan Schindelmeiser und für Michael Reschke, gegen Wolf und für Korkut. Dietrich ist ein Mann, der fußballerischen Sachverstand mit unternehmerischer Expertise und Perspektive verbindet. Der 70-Jährige setzt die Ausgliederung der Profiabteilung in eine Aktiengesellschaft durch. Über 80 Prozent Zustimmung gab es für das anfangs umstrittene Projekt. Maximal 24,9 Prozent der Anteile dürfen an Investoren verkauft werden. Das Geld wird beim VfB dringend benötigt.
Der VfB ist gut aufgestellt. Neben Didavi und Castro holte Reschke den 20 Jahre alten Angreifer Nicolas Gonzalez aus Argentinien, die Verteidiger Borna Sosa von Dinamo Zagreb, Pablo Maffeo von Manchester City und Marc Oliver Kempf vom SC Freiburg — und zwar langfristig. Weltmeister Ron-Robert Zieler zählt nach wie vor zu den überragenden Torleuten der Bundesliga, die Innenverteidigung vor Zieler ist gut aufgestellt. Und die Verstärkungen deuten auf eine erfolgreiche Saison, die den Club aber vermutlich noch nicht nach Europa bringt. Das dürfte ein Projekt für die Zukunft bleiben. Wie im Fünf-Jahres-Plan von Dietrich zu lesen ist.
Morgen beschäftigen wir uns mit Rasenballsport Leipzig.