Magdalena Neuner: „Mache das hier nur für mich“

Oslo (dpa) - Gesundwerden, noch einmal „auf Schalke“ laufen und dann endlich Ferien ohne Biathlon. Für Magdalena Neuner ist eine auch ohne Weltcup-Gesamtsieg äußerst erfolgreiche Saison bald endgültig vorbei.

„Ich versuche, den Sport aus meinem Leben heraus zu lassen. Einfach wieder einmal ein Privatleben zu haben“, sagt die zehnmalige Weltmeisterin im Interview der Nachrichtenagentur dpa. Doch die Heim-WM in Ruhpolding im nächsten Jahr hat die erfolgreichste Biathletin der Welt schon jetzt im Visier.

Auch wenn es mit dem Gewinn des Gesamt-Weltcups am Wochenende in Oslo nicht geklappt hat. Dreimal WM-Gold, zweimal WM-Silber in Chanty-Mansijsk - ist das ein Trost?

Neuner: „Natürlich. Nach der WM war eh schon alles perfekt.“

Hatten Sie mit einer solchen Ausbeute gerechnet?

Neuner: „Man nimmt sich natürlich schon was vor, das ist klar. Man fährt hin und sagt sich: Mensch, ich möchte schon gerne soundsoviele Medaillen holen. Vier Medaillen wollte ich gerne, die Farbe war mir eigentlich egal. Dass es dann fünf werden, drei Goldene sogar - da kann man nicht mehr viel dazu sagen.“

Nach den Olympischen Spielen, nach dem Gewinn Ihrer zwei Goldmedaillen, haben Sie sich nur schwer motivieren können, sogar eine längere Pause gemacht. Wie haben Sie denn da so einen tollen Winter schaffen können?

Neuner: „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mir die Pause sehr gut getan hat. Ich habe es irgendwie gebraucht, mir noch etwas mehr Zeit zu nehmen. Und einfach mal wieder Ziele für mich zu definieren. Es war so, dass ich mir gesagt habe: Mensch, Du hast schon alles gewonnen. Wirklich alles, den Gesamtweltcup, die Weltmeisterschaft und Olympia. Ich habe mich gefragt, für was soll ich mich jeden Tag quälen.“

Und warum haben Sie nicht einfach aufgehört?

Neuner: „Ich habe gemerkt, dass es mir einfach ganz viel Spaß macht, dass das mein Traumberuf ist. Ich muss nicht im Büro sitzen, kann draußen in der Sonne rumlaufen. Dann hab' ich wieder Ziele gehabt, hab' den Spaß wieder gefunden und es ging alles von selber.“

Und wie! Mit Ihren zehn WM-Goldmedaillen sind Sie nun die erfolgreichste Biathletin der Welt. Wenn Ihnen das jemand vor zehn Jahren prophezeit hätte, was hätten Sie denn da geantwortet?

Neuner: „Ja, ja - ich und dann noch mit 24. Ich wusste schon, dass ich Potenzial habe und dass ich auch Weltmeister werden und den Gesamtweltcup-Sieg holen kann. Aber diese Superlative erreicht zu haben, das muss ich erst einmal begreifen. Meine Cousine hat mir am Telefon vom Hype erzählt, der daheim ausgebrochen ist. Dass alle sagen: Mensch, die Lena, die ist ja verrückt. Ich glaube die WM hat schon noch einmal ganz schön was losgetreten.“

Sie haben jetzt zehnmal WM-Gold. Was bedeuten Ihnen die Medaillen?

Neuner: „Das ist für mich schon eine Art sportliches Lebenswerk. Wenn ich heim komme, werde ich die zehn Medaillen nebeneinander legen. Da schaut man, glaube ich, dann nur drauf und sagt: Wahnsinn.“

Der Frühling kommt ja bald, sprießen auch schon die neuen Ziele?

Neuner: „Erst einmal werde ich jetzt Urlaub machen. Ich versuche, den Sport aus meinem Leben heraus zu lassen. Einfach wieder einmal ein Privatleben zu haben. So Anfang Mai, wenn das Training dann wieder losgeht, dann werde ich mit Sicherheit auf der Matte stehen und mir sagen: So, ich werde jetzt für das und das trainieren. Da wird das Ziel dann schon definiert sein. Momentan will ich erst einmal wirken lassen, was war.“

Aber die Heim-WM in Ruhpolding ist auf jeden Fall ein Ziel?

Neuner: „Auf jeden Fall! Ich werde viel trainieren, ganz hart trainieren. Ich habe mir schon vorgenommen mich sehr, sehr gut auf Ruhpolding vorzubereiten. Das ist schon etwas Besonderes und da will ich sehr erfolgreich sein. Es ist halt eine Heim-WM. Ich will nicht, dass es so wird, wie bei den Russen in Chanty-Mansijsk, dass ich da an den Start gehe und die Erfolge nicht wiederholen kann, die ich die letzten Jahre hatte.“

Warum hat denn diese Saison so viel Spaß gemacht. Was war denn anders?

Neuner: „Ich habe mich ziemlich weiterentwickelt. Ich fühle mich einfach wohl mit dem Leben, das ich jetzt so habe. Das ganze Umfeld passt und das ist wichtig.“

Hat auch das Team zu Ihrem Wohlbehagen beigetragen?

Neuner: „Ich bin der total harmoniebedürftige Mensch. Ich bin ein Familienmensch. Wenn ich unterwegs bin, ist das hier meine Familie. Und da ist es schon schöner, wenn es harmonisch ist. Wir sind halt jetzt ein junges Team. Ich war sonst immer die Allerjüngste. Und das ist immer schwer. Ich bin zwar gut integriert worden, aber die anderen waren eben zehn Jahre älter. Da gehört man vielleicht nicht so ganz dazu. Aber jetzt sind ein paar Mädels im gleichen Alter dabei. Mir persönlich tut das schon gut. Für mich ist es momentan total schön.“

Sind Sie deshalb in der Staffel mit typisch deutschen Tugenden gelaufen?

Neuner: „Ich habe für die Mädels gekämpft. Mir war schon auch wichtig, für die Mädels was rauszuholen. Ich finde schon, dass man noch einmal mehr kämpfen kann, wenn man weiß, die anderen, die fiebern total mit.“

Viele ihrer Teamkolleginnen sind auch noch im frühen Karriere-Alter. Für einen Großteil des Teams ist ja nicht nur Sotschi, sondern auch Olympia 2018 ein Ziel. Als Kapitän können Sie doch da nicht so einfach von Bord gehen.

Neuner: „Daran denke ich überhaupt nicht. Das ist vielleicht jetzt total egoistisch, aber ich mache das hier nur für mich. Wenn ich irgendwann einmal aufhören sollte, werde ich das rein für mich entscheiden. Ich denke, dass die Mädels, wenn es irgendwann einmal soweit sein sollte, auch ohne mich zurechtkommen. Aber noch können sie voll auf mich bauen.“

Haben Sie denn schon Ideen oder sogar Pläne für Zeit nach der Biathlon-Karriere? Bayern-Manager Uli Hoeneß hat Ihnen ja schon einen Job angeboten?

Neuner: „Das wird sich sicherlich auch danach richten, wie alt ich dann bin. Ich denke schon, dass es ein Unterschied ist, ob ich 30 bin oder 25 oder 27. Bei einer Frau spielt dann auch noch die Familienplanung eine Rolle. Das ist mit 30 dann anders als mit 25. Ich hoffe aber schon, dass ich auch weiterhin noch ein bisschen unterwegs sein kann. Dass ich ein paar Interviews geben und vielleicht in irgendwelchen Shows auf der Coach sitzen darf. Und ich denke schon, dass ich mich nicht ganz vom Biathlon entfernen werde. Mal schauen.“

Stichwort Familienplanung. Soll es eine Großfamilie werden?

Neuner: „Ich bin in einer Großfamilie groß geworden. Ich bin, wie gesagt, ein Familienmensch. Aber das kann man nie so planen. Da spielt dann auch hinein, wie alt bin ich, wie sind meine Pläne? Ich denke eher so an eine normale Familie, an zwei Kinder. Aber es kommt ja meistens anders als man denkt.“

Was hat ihr Freund denn überhaupt zu ihren Erfolgen gesagt?

Neuner: „Er ist total stolz auf mich. Aber für uns ist der Sport nicht so das Thema in der Beziehung. Schön, das wir das trennen können. Er interessiert sich, aber er ist kein fanatischer Biathlon-Gucker. Er schaut es sich schon an, aber eigentlich ist es zweitrangig.“

Ist das gut oder schlecht?

Neuner: „Das ist total wichtig, auch für uns. Ich werde heimkommen und wir werden nicht über Biathlon reden. Das genieße ich total und da freue ich mich auch drauf, dass ich den Sport draußen lassen kann. Und ich weiß dann halt auch wirklich, dass er mich mag und nicht nur die Sportlerin.“

Wie schwierig ist es im Winter, so eine Art Fernbeziehung führen zu müssen?

Neuner: „Für uns ist es nicht so schwierig, weil es passt. Das ist kein Problem. Es kommt natürlich darauf an, wie die Beziehung so ist. Aber natürlich sehnt man sich nach dem Partner. Ich vermisse ihn natürlich schon total, das ist klar. Aber es ist absehbar, und wir wissen, dass es irgendwann vorbei sein wird und wir dann ganz viel Zeit füreinander haben werden.“

Wann läuten die Hochzeitsglocken?

Neuner: „Das ist momentan kein Thema. Ich bin noch so jung und ich weiß, dass ich mit meinem Freund zusammenbleiben werde. Der Rest wird sich sicherlich ergeben, das liegt an ihm.“

Ihre sportlichen Leistungen sind fantastisch. Können Sie Leute verstehen, die an Ihren Leistungen zweifeln und was entgegnen Sie denen?

Neuner: „Das kann ich verstehen. Man ertappt sich in anderen Fällen ja auch selber immer wieder, dass man sich fragt, Mensch geht das mit rechten Dingen zu? Ich für mich persönlich weiß, dass ich einen sauberen Sport betreibe. Das ist mir ganz, ganz wichtig. Ich will auch irgendwo Vorbild sein. Und ich muss ganz ehrlich sagen, wenn ich es nicht mehr mit fairen Mitteln machen kann, dann lasse ich es gut sein. So wichtig ist der Sport nicht, dass ich meine Gesundheit deswegen ruinieren muss.“

Der Preis der Popularität ist, dass Sie vor ihrem Haus in Wallgau hin und wieder belagert werden. Wie gehen Sie damit um?

Neuner: „Das ist tagesformabhängig bei mir. Manchmal würde ich am liebsten rausrennen und schreien: Lasst mich in Ruhe. Manchmal ist es so, dass ich rausgehe und das Autogramm gebe. Aber das ist schon teilweise belastend. Da sage ich mir dann schon manchmal: Es könnte einfacher sein. Aber es gehört ja irgendwo dazu.“

Was wird in Wallgau los sein, wenn Sie wieder daheim sind?

Neuner: „Der Bürgermeister hat nur geschrieben, er will Ende April eine Mega-Party veranstalten. Und ich freu' mich drauf. Aber ich freue mich auch drauf, wenn die Ruhe wieder einkehrt. Es ist schön, wenn Biathlon wieder in den Hintergrund rückt.“