Glückliche Pechstein lässt Tränen kullern

Sotschi (dpa) - Bei einem Bierchen an der Bar im Hotel Vesna fiel bei Claudia Pechstein um Mitternacht die ganze Anspannung der vergangenen Tage ab.

Mit ihren zwei Bronzemedaillen hatte die älteste Eisschnellläuferin der Weltelite ihren unbändigen Kampfgeist demonstriert und dem deutschen Verband bei den Weltmeisterschaften in Sotschi die insgesamt dürftige Bilanz geschönt. „Ich bin so stolz, bei jedem Rennen neue Rekorde in der Altersklasse 41 aufzustellen“, meinte sie nach den 5000 Metern, und plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen, der sie sich in der Mixed-Zone etwas schämte.

Auf dem Eis hatte Pechstein einen weit besseren Eindruck in der Olympia-Stadt hinterlassen als zuvor im unsäglichen Psycho-Duell gegen ihre Erzrivalin Stephanie Beckert. Ihr öffentlicher Vorwurf der „vorsätzlichen Arbeitsverweigerung“ erwies sich spätestens nach den WM-Rennen als unbegründet. Der Thüringerin fehlte nach nicht optimaler Vorbereitung die Form der vergangenen drei Jahre. Die Plätze sieben (3000 Meter) und fünf (5000 Meter) entsprachen nicht ihrem Potenzial.

„Mehr war nicht drin, weil mein Kopf nicht frei war“, sagte die Erfurter Olympiasiegerin mit Hinweis auf die wiederholten Sticheleien Pechsteins. Mentale Gründe dürften eine Rolle gespielt haben, doch damit machte sie sich die Problemsuche zu einfach. „Es war nicht ihre WM“, konstatierte ihr Trainer Stephan Gneupel. „Aber das kann Motivation für das Olympia-Jahr sein.“ Sie wolle „auch künftig jedem Streit aus dem Wege gehen“, flüsterte die schüchterne Blondine.

Pechstein hingegen sprang wie wild auf die Werbebande und küsste ausgelassen ihren Freund Matthias, als ihre 59. Medaille bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften (14/28/17) feststand. Cheftrainer Markus Eicher, der nie einen Hehl daraus gemacht habe, dass Stephanie Beckert die Zukunft gehöre, lobte: „Einfach nur Wahnsinn mit 41: Das ist einmalig im ganzen Wintersport, dass eine Frau in diesem Alter so auftrumpft.“ Gneupel fügte hinzu: „Ich ziehe den Hut vor Claudia.“

Auf den 5000 Metern gewann Pechstein in ihrem 14. WM-Rennen die 13. Medaille - das wird ihr kaum mehr jemand nachmachen. In 7:04,07 Minuten musste sie nur der überragenden Tschechin Martina Sablikova (6:54,31) und der Niederländerin Ireen Wüst (7:02,96) den Vortritt lassen. Für Sablikova war es der sechste Titel in Serie über 5000 Meter. Bente Kraus schaffte als Siebte den Durchbruch in die Weltelite. „Von diesen Ergebnissen hätte ich zuvor nie zu träumen gewagt“, meinte die Berlinerin, die schon über 3000 Meter Achte war.

Für die WM-Überraschungen sorgten die Russen, die mit Gold für Olga Fatkulina über 1000 Meter und Denis Juskow über 1500 Meter die Anstrengungen der Gastgeber für Olympia 2014 unterstrichen. Zuletzt hatte es vor 17 Jahren WM-Gold für die Russen gegeben. Auch der Kasache Denis Kusin verblüffte die Eisschnelllauf-Welt: Er holte über 1000 Meter erstmals einen WM-Titel für seine Heimat.

Einen Favoritensturz gab es über 10 000 Meter. Serien-Champion Sven Kramer musste durch seinen niederländischen Landsmann Jorrit Bergsma (12:57,69 Minuten) seine erste Niederlage auf langen WM-Strecken seit 2007 einstecken. Marco Weber wurde Siebter, Patrick Beckert lief im ersten WM-Rennen über 10 000 Meter auf Rang acht. Der Vorjahres-Vierte Moritz Geisreiter landete nach Magen-Darm-Problemen auf Platz zehn.