Küken als Pechvogel: Seidel stürzt vor Heim-Kulisse
Dresden (dpa) - Anna Seidel war den Tränen nah. Dann nahm Tina Grassow die Jüngste im Team sofort in die Arme und tröstete sie. Die 2000 Zuschauer bei der Shorttrack-EM in Dresden erhoben sich von ihren Plätzen und feierten das deutsche Damen-Team trotz des Missgeschicks der kleinen Anna.
Sechs Meter vor dem Ziel war die 15 Jahre alte Schülerin im Staffel-Halbfinale gestürzt und war bäuchlings über die Ziellinie gerutscht. Die Kampfrichter sahen keine Behinderung: Damit war der Traum der deutschen Damen von einer EM-Medaille geplatzt.
Für das Leichtgewicht aus Dresden - Anna Seidel wiegt nur 45 Kilo - war der Lauf trotz des unglücklichen Ausgangs ein weiterer Schritt auf dem langen Weg in die Weltelite, der ihr in diesem Winter schon so unverhoffte Höhepunkte beschert hatte. „Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich als einzige deutsche Shorttrackerin für Olympia qualifiziere. Nun ist der Traum war geworden, und ich kann es noch immer nicht fassen“, meinte das Mädchen mit der glitzernden Zahnspange.
Olympia will sie nun „total genießen“. „Meine Lehrer am Sportgymnasium waren gnädig und haben mir nicht viele Aufgaben mit auf den Weg nach Sotschi gegeben. Ich muss nur ein Buch in Englisch lesen“, berichtete das Olympia-Küken. Nach Skispringerin Gianina Ernst, die gerade erst 15 Jahre alt geworden ist, wird Anna Seidel die zweitjüngste deutsche Olympia-Teilnehmerin in Sotschi sein.
Daher bleibt auch die Junioren-WM der Shorttracker nach Olympia ihr Hauptziel für diese Saison. „Bei Olympia will ich vor allem technisch gut laufen und vielleicht die zweite Runde schaffen“, gibt sie als vorsichtiges Ziel für die 1500 Meter bekannt. „Aber das Gute ist, dass mir niemand den Kopf abreißt, wenn es nicht klappt.“
Als ihre Stärken sieht die neue Hoffnungsträgerin des deutschen Kurzbahn-Eissprints ihre Wendigkeit und ihre Unbekümmertheit. „Ich nehme nicht alles so ernst“, bestätigte sie schmunzelnd. Aber ehrgeizig ist sie dennoch. „Ich möchte mindestens dreimal bei Olympia dabei sein“, kündigte sie an.
Die „Drei“ ist für die am 31.3. geborene Anna Seidel so etwas wie eine Glückszahl. „Ich mache alles dreimal: Im Training mache ich immer drei Sprünge, beim Trinken schlucke ich immer dreimal, und vor dem Wettkampf sage ich immer drei Sätze zu mir: "Ich schaffe das. Ich packe das. Das ist mein Tag." Und oft klopfe ich dreimal auf Holz, damit alles gelingt.“ Ja, abergläubisch sei sie schon ein wenig, gibt sie zu. „Immer ziehe ich erst den rechten und dann den linken Schlittschuh an. Und mein Glücksschwein als Maskottchen ist immer dabei. Auch in Sotschi“.