Neureuthers Sehnsucht bleibt ungestillt

Lenzerheide (dpa) - Felix Neureuther ließ die Umarmung von Marcel Hirscher mehr oder weniger über sich ergehen. Nie dürfte dem besten deutschen Skirennfahrer ein zweiter Platz hinter dem österreichischen Weltmeister so wenig Freude bereitet haben.

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„Marcel war heute der verdiente Sieger. Er ist im zweiten Durchgang sehr stark gefahren: Chapeau. Er ist der beste Slalomfahrer der Welt“, gratulierte Neureuther in Lenzerheide als fairer Sportsmann. Platz zwei in der Tages- und Disziplin-Wertung des Slaloms, dazu ein dritter Rang im Riesenslalom: Das Saison-Finale Neureuthers war wieder einmal stark, aber die Sehnsucht nach der Slalomkugel wurde nicht gestillt.

Die zum Saisonausklang selbst demonstrierte Fairness hatte Neureuther bei der eigenwilligen Kurssetzung des ersten Slalom-Durchgangs durch einen Österreicher noch vermisst. „Das war eine Frechheit, was da abgelaufen ist. Im Endeffekt haben sie probiert, mich zu zerstören - und haben es aber nicht geschafft“, erklärte der WM-Zweite. Aber deswegen, das betonte Neureuther Stunden später nach dem Finale, hätte Hirscher die Kugel nicht gewonnen. „Der Marcel hat ja den Kurs nicht gesetzt, er kann recht wenig dafür. Aber es wirft ein schlechtes Licht auf den Österreichischen Skiverband.“

Dieser soll sogar noch am Vortag probiert haben, eine Disqualifikation Neureuthers nach dem Riesenslalom wegen eines angeblichen nicht regelkonformen Skis zu erwirken. „Erfolg bedeutet viel, aber Erfolg ist auch nicht alles und da sollte die Menschlichkeit immer noch im Vordergrund stehen“, hob der 29-Jährige hervor. Ein bisschen Trost fand er in den Armen von Freundin Miriam Gössner, die mit einem schwarz-rot-goldenen Fähnchen mit der Aufschrift „Felix, Hopp, Hopp“ im Zielraum herumstand.

Am Vortag hatte die Biathletin noch gejubelt, wenngleich auch nicht über einen Sieg ihres Freundes. Neureuther raste da als Führender des ersten Durchgangs mit einer Hundertstelsekunde Vorsprung auf Rang drei und verdrängte damit Hirscher vom Podest. Dieser durfte sich zwar über den erneuten Gesamtweltcupsieg freuen. Um aber auch über die Riesentorlauf-Wertung jubeln zu dürfen, fehlte ihm als Viertem das eine entscheidende Pünktchen im Zweikampf gegen Ted Ligety (USA).

„Als der Ted gesagt hat, thank you so much my friend, hab' ich gewusst: alles klar“, schilderte Neureuther den Augenblick kurz nach seiner Zieldurchfahrt. Ligety riss seinen Kumpel förmlich zu Boden. Wenig später posierten die beiden auch für ein Bild, auf dem der Amerikaner dem Deutschen einen Kuss auf die Wange drückte.

Tagsdrauf ging es zwischen Hirscher und Neureuther weitaus weniger herzlich zu. „Ich habe alles gegeben und brauche mir keinen Vorwurf zu machen. Ich hatte alles in allem eine grandiose Saison trotz der viermonatigen Verletzung, eines Autounfall und so weiter“, schilderte der neunmalige Weltcupsieger. „Ich habe mir das Leben selbst nicht wirklich einfach gemacht und es trotzdem bis zum Schluss extrem spannend gehalten mit Marcel.“ Die vergangenen Monate bezeichnete Neureuther schon vor dem letzten Rennen als „die beste Saison meines Lebens“. Nach einem kräftezehrenden Winter mit reichlich Blessuren will er sich nun „Gedanken machen“ für den kommenden WM-Winter.

Mehr als vier Siege in einer Saison, wie er sie nun einfuhr, glückten nie zuvor einem deutschen Alpinherren. Eine Kugel wie zuletzt 1990 für Armin Bittner gab es nicht. Aber das Team mit Fritz Dopfer und Stefan Luitz sorgte trotzdem für das beste Herren-Abschneiden im Weltcup seit 1987. Vier erste und insgesamt zehn Podestplätze lautet die Bilanz.

„Der Abschluss ist ein bisschen ein Spiegelbild der Saison, die ganz großen Punkte machen wir nicht. Da fehlt uns ein bisschen das Fortune, den Sack zuzumachen“, erklärte der scheidende Coach Karlheinz Waibel. Nach Platz vier durch Dopfer bei Olympia verpasste Neureuther nun knapp die Kugel. Da scherzte Waibel schnell mal über seinen noch unbekannten Nachfolger. „Wahrscheinlich liegt es am Cheftrainer. Und da ich jetzt gehe und ein Neuer kommt mit bestimmt deutlich mehr Fortune, mache ich mir um die Zukunft keine Sorgen.“