Vom Eintänzer zum Höhenflieger: Jacobsen verblüfft
Garmisch-Partenkirchen (dpa) - Vor sechs Jahren eroberte Anders Jacobsen als fliegender Klempner aus dem Nichts die Skisprung-Welt, nun mischt der junge Familienvater nach einer einjährigen Auszeit erneut die Weltelite auf.
Mit seinen Siegen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen hat sich der Norweger zur Halbzeit der Vierschanzentournee in die Pole Position katapultiert und zum Favoriten auf den Gesamterfolg aufgeschwungen.
„2006/07 war mein erstes Weltcupjahr und mein Debüt bei der Tournee. Alles war neu für mich. Das Gefühl ist jetzt ähnlich wie damals - auch dieses Mal ist es wie ein Märchen für mich, so schnell zu siegen und dann einer der Favoriten zu sein“, erzählte Jacobsen. Ende Mai 2011 hatte er die Nase vom Skispringen gestrichen voll, zog sich vom Leistungssport zurück und widmete sich fortan nur noch seiner Frau Brigitte und dem heute fast zweijährigen Sohn Isak. Die junge Familie kaufte sich ein Haus, in das der ehemalige Installateur viel Arbeit steckte. „Ich habe einiges selbst gemacht“, berichtete Jacobsen stolz.
Nebenbei trat er in der norwegischen Ausgabe der Tanzshow „Lets Dance“ auf. Erst eine Blinddarm-Erkrankung stoppte seine Zweitkarriere als Eintänzer, über die Jacobsen heute lachen muss. „Das war einfach zum Spaß. Ich wollte eine andere Art des Medienrummels kennenlernen, um zu sehen, ob ich tough genug bin, einen Idioten aus mir zu machen“, erzählte Jacobsen grinsend und fügte hinzu: „Gewonnen habe ich nicht.“
Das holt er nun auf der Schanze nach. Schon nach zwei Monaten war das Kribbeln zurückgekehrt, Anfang 2012 kündigte er schließlich sein Comeback an. Im März gewann Jacobsen den Landesmeistertitel auf der Normalschanze, seit Saisonbeginn ist er wieder im Weltcup dabei. „Ich habe erst im Frühjahr wieder richtig begonnen und natürlich in allem 110 Prozent gegeben. Es war sehr viel Arbeit, aber ich habe es sehr genossen. Es fühlt sich alles ein bisschen ähnlich an wie 2006/07“, sagte Jacobsen.
Wie bei seinem Tourneesieg vor sechs Jahren besticht er mit Nervenstärke und Draufgängertum. „Ich fühle den Druck, aber es fühlt sich gut an“, sagte er nach seinem Erfolg beim Neujahrsspringen. Einen großen Anteil an seinem Höhenflug schreibt er Trainer Alexander Stöckl zu. „Mit ihm ist es eine perfekte Zusammenarbeit. Alex achtet mehr auf die Emotionen“, meinte Jacobsen. Vorgänger Mika Kojonkoski sei dagegen auf die Resultate fokussiert gewesen. „Ich glaube, das ist nicht sehr gesund“.
Das Tournee-Finale in Innsbruck und Bischofshofen geht Jacobsen nun ganz locker an. Dabei beträgt sein Vorsprung auf Topfavorit Gregor Schlierenzauer aus Österreich gerade einmal 12,5 Punkte. Auch die Diskussion um einen angeblichen „Wunder-Schuh“, den Norwegens Coach Stöckl mit seinem Vater entwickelt hat, ringt Jacobsen nur ein müdes Lächeln ab: „Das ist unser Geheimnis.“ Aus der Ruhe kann den Spitzenreiter ohnehin nichts mehr bringen: „Ich habe wirklich nichts zu verlieren. Ich habe eine wunderbare Frau, ein kleines Kind, ein schönes Zuhause. Das bleibt so - ob ich nun Nummer eins oder vier bin.“