Cuiabá. Wieder prescht ein Lastwagen vorbei, wirbelt roten Staub auf und lässt die Arena Pantanal für einen kurzen Moment hinter einer Wolke verschwinden. Tausendmal hat Tuiuiú das in den vergangenen drei Jahren erlebt.
Der Fotograf des Diário de Cuiabá kennt das WM-Stadion in der Hauptstadt des Bundesstaates Mato Grosso wie kein zweiter. Seit dem ersten Spatenstich hält Tuiuiú die Baufortschritte mit seiner Kamera fest. Heute will er das Stadion, in dem im nächsten Jahr auch Özil und Schweinsteiger auflaufen könnten, mit dem Architekten von innen anschauen.
Bei 38 Grad im Schatten eine schweißtreibende Angelegenheit. Sie sind in Cuiabá mächtig stolz darauf, dass im Juni 2014 vier Vorrundenspiele in ihrer Stadt, die ansonsten so ganz ohne Glamour auskommt, ausgetragen werden. Eigentlich hätte Campo Grande weiter im Süden WM-Spielort werden sollen, doch ein einflussreicher Politiker lotste die Copa dann doch in den heißen, zentralen Westen Brasiliens.
Mato Grosso, das ist die „Speisekammer“ des Landes: Auf riesigen Fazendas werden Millionen Rinder gehalten, die Sojafelder sind so groß, dass man sie überfliegen muss. Doch es ist eine heiße Speisekammer. Auf unter 30 Grad fallen die Temperaturen in Cuiabá kaum, die Regel sind eher um die 36 Grad. Es wird manchmal sogar so heiß, dass das Wasser auch bei kalter Einstellung warm aus dem Hahn kommt und die Flipflops auf der Straße kleben bleiben wie Marshmallows.
Architekt Ivan Moreira de Almeida (36) kommt aus seinem klimatisierten Büro und begrüßt Tuiuiú (54) mit dem typisch brasilianischen Schulterklopfer unter Männern. „Tudo bem?“ „Tudo.“ De Almeida schreitet sichtlich stolz Richtung Arena. „Unser Stadion ist viel schöner als die anderen. Wir legen Wert darauf, möglichst viele Grünflächen zu integrieren. Wir wollten keine Betonwüste“, sagt de Almeida und zeigt auf frisch verlegten Rasen und Palmen. Draußen.
Drinnen sind die insgesamt 1700 Arbeiter noch nicht so weit. Der Untergrund für das Spielfeld wird gerade hergerichtet und die Dachkonstruktion verschraubt. Wie Spinnen hängen die Arbeiter in 46 Metern Höhe. Auch von den Stühlen ist noch nichts zu sehen. Und die Umkleidekabine von Jogis Jungs, wenn es denn die Gruppenauslosung am 6. Dezember in Bahia so will, ist noch im Rohbau. Elektroleitungen baumeln von der Decke. Dennoch: „Ende Dezember ist alles fertig. So ist unser Zeitplan“, sagt Architekt de Almeida, während Tuiuiú Aufnahmen für das Archiv des Diário macht.
Rund 170 Millionen Euro kostet die Arena Pantanal bislang. In örtlichen Medien ist aber zu lesen, dass die Regierung zusätzliche Gelder in den Prestigebau, rund zehn Autominuten vom Zentrum der 500 000-Einwohner-Stadt entfernt, pumpt. Das mit einer Kapazität von 43 000 Zuschauern viertkleinste der zwölf WM-Stadien muss einfach rechtzeitig fertig werden, koste es, was es wolle. Das gilt auch für die vielen Baustellen in der zwei Flugstunden von São Paulo entfernten Stadt, die den Verkehr täglich lahmlegen.
„Die vier Ecken des Stadions wurden extra offen gelassen, damit der Wind zirkulieren kann“, erklärt der Architekt. Doch davon ist heute nichts zu spüren — allein der Gedanke daran, in dieser Hitze-Hölle Fußball spielen zu müssen, erzeugt Schnappatmung. Wie halten das bloß die Bauarbeiter aus, die auch noch in der prallen Sonne bei 45 Grad ran müssen?
„Sie reiben sich mit einem Mangoextrakt ein, um nicht zu verbrennen. Und sie tragen lange Tücher unter den Helmen, die den Nacken schützen“, verrät Tuiuiú, der eigentlich Dinalte de Oliveira Miranda heißt. Den Spitznamen haben ihm seine Freunde verpasst, weil er genau wie der gleichnamige Riesenvogel aus dem Pantanal viel unterwegs ist.
Fußball ist ein Grund, nach Cuiabá zu reisen, das größte Feuchtgebiet der Welt ein anderer. Nirgends kommt man wie dort Piranhas, Krokodilen, Jaguaren und Wasserschweinen so nah — ein fantastisches Naturerlebnis nur rund hundert Kilometer von der Stadt (sie selbst ist keine Schönheit) entfernt.
Die Stadionbegehung ist beendet. Architekt de Almeida und Tuiuiú verabschieden sich. Mit einem Schulterklopfer natürlich. Bevor er in die Redaktion fährt, verrät Tuiuiú noch, was er in Anwesenheit des Architekten wohl nicht so deutlich sagen mochte: „Der Zeitplan ist nicht einzuhalten. Das weiß hier jeder in Cuiabá. Ich denke nicht, dass Stadion und Außenanlagen vor April nächsten Jahres fertig sind.“ Bis dahin donnern noch einige Lastwagen über die rote Erde von Cuiabá.