Analyse: Ägypten demonstrativ an der Seite der Hamas
Kairo/Istanbul (dpa) - Der Arabische Frühling hat das Machtgefüge in der Region umgeworfen. Das zeigt sich auch in der Gaza-Krise. Katar und die Muslimbrüder unterstützen jetzt die Hamas-Bewegung. Der Iran ist aus dem Rennen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Israel nach Attacken militanter Palästinenser im Gazastreifen zuschlägt. Doch das Umfeld, in dem der ungleiche Schlagabtausch zwischen den Palästinensern und der israelischen Armee stattfindet, ist neu. Das Nachbarland Ägypten hatte sich zu Zeiten von Präsident Husni Mubarak damit begnügt, die Militäroperationen der Israelis zu verurteilen. Den Muslimbrüdern, die in Ägypten heute die dominierende Kraft sind, reicht das nicht.
Sie beordern ihren Botschafter zurück, öffnen den Grenzübergang Rafah und schicken Ministerpräsident Hischam Kandil zu einem Solidaritätsbesuch nach Gaza. Kandil nimmt im Krankenhaus gemeinsam mit dem Chef der Hamas-Regierung, Ismail Hanija, den Leichnam eines Kindes entgegen, das soeben bei einem israelischen Angriff getötet wurde. „Eine menschliche Geste“, finden die einen. „Ganz großes Islamisten-Kino“, sagen andere.
Wegen ihrer innenpolitischen Probleme hat die ägyptische Führung unter Präsident Mohammed Mursi positive Schlagzeilen im Moment bitter nötig. Liberale und christliche Ägypter protestieren gegen den Verfassungsentwurf, der ihrer Ansicht nach zu sehr auf die Muslimbrüder und ihre Ziele zugeschnitten ist. Ägypten muss Schulden aufnehmen. Teile der Sinai-Halbinsel entziehen sich inzwischen staatlicher Kontrolle. Die Bewohner von Kairo klagen über häufige Stromausfälle.
„Denkt nicht, dass diejenigen, die für Gott sterben, Tote sind, sie sind als Märtyrer bei Gott“, zitiert Kandil in Gaza aus dem Koran. Das kommt in der Heimat gut. an. Doch Kandil ist nicht der einzige Ägypter, der sich an diesem Freitagmorgen nach Gaza aufgemacht hat. Auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat Abdelmoneim Abul Futuh überquert den Grenzübergang Rafah. Der Islamist kommt mit einer Delegation der Arabischen Ärzte-Union, um Hilfe zu leisten.
Der Emir von Katar, der als wichtigster Sponsor der Muslimbrüder in der arabischen Welt gilt, war im vergangenen Monat ebenfalls mit seiner Ehefrau im Gazastreifen, um unter großer medialer Begleitung ein von ihm finanziertes Bauprojekt einzuweihen. Katar ist durch seine enormen Öl- und Gasvorkommen ein reiches Land, das im Gegensatz zu Ägypten nicht auf das Wohlwollen der Amerikaner angewiesen ist. Deshalb kann es sich der Emir auch leisten, die Hamas zu unterstützen. Dass die Katarer im Gazastreifen die Rolle spielen, die bis vor kurzem noch der Iran innehatte, ist aus Sicht der Golfaraber ein positiver Nebeneffekt.
Der Palästinenser-Konflikt war für die arabischen Herrscher stets ein willkommenes Thema, um von Krisen daheim abzulenken. Fragte man in Syrien, Jordanien oder Ägypten vor dem Arabischen Frühling nach Reformen, so bekam man oft die Antwort: „Erst einmal müssen wir das Palästinenserproblem lösen“. Heute wird diese Entschuldigung von niemandem mehr akzeptiert.