Analyse: Al-Kaida spielt Obama in die Hände
Washington (dpa) - Das hat die Terrororganisation Al-Kaida wohl nicht bezweckt: Mit ihrer Internet-Erklärung zum „Märtyrertod“ des Anführers Osama bin Ladens spielte sie ihrem Erzfeind Barack Obama in die Hände.
Die Terrororganisation betrauerte den Tod des Topterroristen und bestätigte damit den Erfolg der US-Operation in Pakistan. Vor allem in der arabischen Welt waren Zweifel an der US-Darstellung vom Tod Bin Ladens gewachsen, zumal der US-Präsident seine wichtigsten Beweise der Öffentlichkeit vorenthält: grausige blutige Bilder von der Leiche des Terroristenchefs.
Auch die Al-Kaida-Drohung mit Vergeltungsschlägen stärkt dem Präsidenten nur den Rücken. Zwar hatten sich die Amerikaner nicht der Illusion hingegeben, dass sich mit dem Tod Bin Ladens die Fortsetzung des Antiterrorkampfs quasi über Nacht völlig erübrigen würde. Dennoch musste Obama fürchten, dass der ohnehin schwache Rückhalt in der Bevölkerung für den Afghanistan-Einsatz weiter schwindet - vielleicht unbewusst fühlten sich viele nach der Nachricht vom Tod Bin Ladens ein wenig sicherer.
So hat eine Gruppe von Republikanern und Demokraten im Kongress angesichts der hohen Kosten des Krieges bereits eine Gesetzesinitiative gestartet, um Obama zu einem rascheren Abzug aus Afghanistan zu zwingen. „Nun, da Bin Laden tot und Al-Kaida rund um den Globus verstreut ist, macht es wirklich noch Sinn, weiterhin 100 000 US-Soldaten in Afghanistan zu lassen und eine korrupte Regierung zu stützen?“ fragte etwa der demokratische Abgeordnete Jim McGovern.
Die Al-Kaida hat dieser Argumentation ungewollt den Boden entzogen. Die Drohung, dass sich das Blut der Amerikaner „bald mit ihren Tränen vermischen“ werde, bewirkt wahrscheinlich mehr als jedes Wort der Anfeuerung Obamas vor US-Truppen, im Kampf gegen den Terror nicht nachzulassen. Nicht umsonst hatte sich Obama entschlossen, am Freitag auf der Militärbasis Fort Campbell zu sprechen: Er spürte den wachsenden Druck, die Öffentlichkeit in Sachen Afghanistan bei der Stange zu halten.
Natürlich geht es dabei auch um Öffentlichkeitswirkung. Obama genießt seit der Tötung Bin Ladens ein Meinungshoch, und er will seinen Erfolg vermarkten, so gut es geht. Denn die Alltagsrealitäten werden ihn schnell genug einholen, wenn sich Bevölkerung und Kongress wieder auf die Arbeitslosigkeit, die schwächelnde Wirtschaft und das gigantische Staatsdefizit konzentrieren. Obama vermeidet öffentliche Anflüge des Triumphs. Stattdessen zeigt er sich im Gedenken an die Opfer des 11. September am Ground Zero und beim Händeschütteln mit den Helden der Operation, den Navy Seals, die Bin Laden töteten. Damit kann sich jeder in den USA identifizieren, auch die Opposition.
Die Internet-Botschaft der Al-Kaida kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Zweifel an der US-Darstellung nicht nur in der arabischen Welt deutlich zugenommen haben. Denn nach den Tagen des Wirbels, der sich überstürzenden Details über die Operation, begann sich ein Unbehagen einzuschleichen. Medien widmeten den Widersprüchlichkeiten bei der Schilderung der Abläufe auf dem Bin-Laden-Anwesen mehr und mehr Raum. So listete die „New York Times“ am Freitag dezidiert auf, was wann gesagt und dann wieder zurückgenommen wurde. Die zumindest vorerst letzte Korrektur: Es gab kein andauerndes Feuergefecht, nur Schüsse eines einzelnen Bin-Laden-Gefährten auf das Spezialkommando am Anfang der Aktion. Danach feuerten nur noch die Amerikaner.
Am Freitag war das Thema vom Tisch, zumindest erstmal, dank Al-Kaida. So konnte sich Obama ganz darauf konzentrieren, seine Afghanistan-Strategie neu zu verkaufen und sich von Soldaten bejubeln zu lassen. Und wenn man dem heldenhaften Spezialkommando dankt, dann fällt wohlkalkuliert auch Glanz ab für den, der grünes Licht für die Aktion gab und damit ein hohes Risiko einging: den Präsidenten.