Analyse: Bananenrepublik Bayern?
München (dpa) - Es ist eine perfekt inszenierte Show. Große Fotos mit den Schönheiten Bayerns im Hintergrund. Viele bunte Filme. Rund ein Dutzend Menschen, die mit ihren Lebensgeschichten für das „Chancenland Bayern“ stehen sollen.
Edmund Stoiber, der in warmen Worten für seinen Nachnachfolger wirbt. Und 1500 CSU-Anhänger, die Parteichef Horst Seehofer zujubeln und ihn per Akklamation zum Spitzenkandidaten ausrufen. „Mein Name ist Horst Seehofer. Ich bin seit fünf Jahren bayerischer Ministerpräsident, und das möchte ich die nächsten fünf Jahre auch bleiben“, ruft er unter großem Applaus.
Doch die bunte Show, der Jubel - das ist an diesem Freitag nur die eine Seite. Die andere Seite: Das sind die Demonstranten draußen mit ihren Plakaten, auf denen „Saludos Amigos“ oder „Chronische Selbstbediener Union“ steht. Das sind Schmähungen wie „Abzocker“, „Amigo-Abgeordnete“ oder „Bayern-Filz“, die seit fast zwei Wochen die Schlagzeilen beherrschen. Denn auch der Rücktritt von Fraktionschef Georg Schmid bedeutete nicht den erhofften Befreiungsschlag. Täglich kommen neue Details, neue Namen in der „Verwandten-Affäre“ ans Licht.
Am Freitag ist es der SPD-Spitzenkandidat Christian Ude, der die Sache vorläufig auf die Spitze treibt. „Bayern hat eine schwere Regierungskrise“, sagt er und fordert die Rücktritte von fünf CSU-Kabinettsmitgliedern. Doch weil auch Oppositionsabgeordnete nach dem Jahr 2000 Verwandte als Mitarbeiter beschäftigt hatten, kommt Ude zu dem Urteil, es handle sich „selbstverständlich auch um eine Parlamentskrise“. „Es zementiert Vorurteile gegen Bayern. Es mobilisiert Vorurteile gegen die Politik“, warnt er.
Die bayerischen Landtagsabgeordneten als skrupellose Abzocker und Selbstbediener, der Freistaat als Bananenrepublik - dieses Bild wird derzeit bundesweit vermittelt. Tatsache ist: Im Jahr 2000 wurde den Parlamentariern verboten, Ehepartner, Kinder und Eltern als Mitarbeiter zu beschäftigten. Altverträge durften aber weiterlaufen. Und von dieser Altfallregelung haben viele Abgeordnete eifrig Gebrauch gemacht - einige davon bis heute. 17 waren es zuletzt bei der CSU, in der Legislaturperiode davor waren es 39 - fast jeder Dritte. Bei der SPD hatten zwischen 2003 und 2008 noch 7 von 41 Abgeordneten Ehepartner oder Kinder unter Vertrag. Und auch eine Grünen-Politikerin machte von der Altfallregelung Gebrauch.
Rechtlich war und ist daran bis heute nichts auszusetzen. Und auch nicht an der Beschäftigung von Brüdern oder Schwestern, die einige Abgeordnete inzwischen zugegeben haben. Nur: Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch politisch und moralisch darstellbar - das hatte Seehofer schon vor zwei Wochen ganz deutlich gesagt. Unsensibel sei ihr Vorgehen gewesen, sagen auch viele Betroffene.
Landtagspräsidentin Barbara Stamm hat keine Lust mehr, den Kopf für all das hinzuhalten. Sie machte reinen Tisch. Am Freitag veröffentlichte sie die Namen aller 79 betroffenen Abgeordneten.
Stamm warnt aber auch davor, alle Abgeordneten über einen Kamm zu scheren: „Es ist nicht gerecht, alle in einen Topf hineinzuwerfen.“
Denn Tatsache ist auch: Unter denen, die die Altfallregelung genutzt haben, gibt es solche und solche. Da ist Fraktionschef Georg Schmid, der seiner Frau bis zu 5500 Euro pro Monat bezahlte - wovon nach Abzügen dann aber am Ende weniger als 2500 übriggeblieben seien. Da ist der ebenfalls zurückgetretene Chef des Haushaltsausschusses, Georg Winter, der seinen 13- und 14-jährigen Söhne im Jahr 2000 noch auf die Schnelle Jobs verschaffte, bevor dies verboten wurde.
Und da sind auf der anderen Seite eine ganze Reihe von Politikern, die ihre Ehefrau im Rahmen eines Mini-Jobs beschäftigt hatten. Wobei, so heißt es, viele Gattinnen sehr viel mehr gearbeitet hätten. Das wiederum ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie dafür aus der Landtagskasse und damit aus Steuermitteln bezahlt wurden. Im Bundestag und in anderen Bundesländern ist das ausgeschlossen. Meist ist auch die Anstellung von Geschwistern längst verboten.
Seehofer versucht an diesem Freitagabend, noch vor seiner Kür, einen neuen Befreiungsschlag: Er fordert, dass alle betroffenen Kabinettsmitglieder dem Beispiel von Kultusminister Ludwig Spaenle folgen und Geld zurückzahlen. Seehofer verspricht erneut: „Wir machen konsequent reinen Tisch.“ Er dürfte dabei wohl ahnen: Die bunten Bilder dieses Abends könnten schnell vergessen sein. Der Rest nicht.