Analyse: Beginn einer zähen Koalitionssuche

Berlin (dpa) - Es ist 12.46 Uhr, SPD-Chef Sigmar Gabriel ist mit seiner Verhandlungsdelegation schon da. Doch die Tür ist zu. Um 13 Uhr beginnt in der Parlamentarischen Gesellschaft am Friedrich-Ebert-Platz 2 das Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer.

Die sieben Sozialdemokraten sind früh dran. Gabriel muss klopfen. Aus einem großen Journalisten-Pulk schallt die Frage nach seinen Erwartungen an dieses erste Sondierungsgespräch mit der Union nach der Wahl. „Dass das Wetter gut bleibt“, antwortet Gabriel. Inhalte werden drinnen verhandelt.

Merkel lässt nicht einmal eine Bemerkung über das Wetter los. Sie lächelt nur auf die Frage, wie die Stimmung ist. Da ist es 12.58 Uhr. Zwei riesengroße Holztüren öffnen sich für die Ankunft der Union, weil auch Finanzminister Wolfgang Schäuble erwartet wird, der mit seinem Rollstuhl nicht die Treppe zu dem kleinen Eingang hochkommt, den die SPD nahm. Schäuble wählt dann einen anderen Zugang, aber die große Öffnung ist für die Union trotzdem gut, denn sonst wäre es für sie ein bisschen eng geworden. CDU und CSU kommen nämlich mit 14 Unterhändlern - sieben für jede Partei.

Im ersten Stock, im Saal „Berlin“, loten Union und SPD dann für ein paar Stunden aus, ob und wie sie in Koalitionsverhandlungen eintreten. Mit den Grünen will die Union am nächsten Donnerstag darüber reden, ob eventuell auch Schwarz-Grün denkbar wäre.

Die Linke als Koalitionspartner ist für alle außen vor, und die FDP ist nicht mehr da. Gegenüber im Reichstagsgebäude stellt sich zur gleichen Zeit eine kleine Besuchergruppe vor das noch nicht entfernte blau-gelbe Schild der Liberalen auf der Fraktionsebene und macht ein Foto. „Das ist historisch, denn die FDP kommt so schnell nicht wieder“, sagt ein junger Mann.

Draußen vor dem Bundestag demonstriert derweil das Bündnis „Umfairverteilen“. Mit einem symbolischen Tauziehen zwischen Millionären und weniger Betuchten wird die SPD aufgefordert, bei den Plänen für einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent für Einkommen ab 100 000 Euro gegenüber der Union nicht einzuknicken.

Union und SPD wissen, dass sie die großen Probleme des Landes wohl am besten nur gemeinsam lösen können - etwa eine halbwegs bezahlbare Gestaltung der Energiewende oder die weiter schwelende Schuldenkrise in Europa. Da am Ende die rund 470 000 SPD-Mitglieder über einen Koalitionsvertrag abstimmen müssten, braucht die Partei aber auch Beschlüsse mit roter Handschrift, etwa 8,50 Euro gesetzlicher Mindestlohn oder bundesweite Mietpreisbremsen.

In beiden Fällen gilt die Union als kompromissfähig. Bei der SPD herrscht inzwischen Realismus beim Betreuungsgeld, mit dem Eltern derzeit 100 Euro im Monat bekommen, wenn sie ihr Kind nicht in eine Kita geben. Es ist ein Prestigeprojekt von Seehofer und dürfte wohl bleiben. Viel wichtiger sei ein Ende des Kooperationsverbotes, heißt es bei der SPD. Das Verbot untersagt dem Bund die dauerhafte Mitfinanzierung von Schul- und Hochschulaufgaben in den Ländern. Es wird heute als großer Fehler der Föderalismusreform 2006 gesehen. Denn nur mit Abschaffung des Verbots könnten der Ausbau von Ganztagsschulen und der Ausbau von Kitas gestemmt werden.

Sollte Merkel nach dem Sondierungsgespräch mit den Grünen entscheiden, dass sie lieber mit der SPD Koalitionsverhandlungen aufnehmen will, könnte am 19./20. Oktober der SPD-Konvent mit 200 Delegierten tagen. Das höchste Beschlussgremium zwischen Parteitagen müsste erst grünes Licht dafür geben. Nach Fertigstellung eines Koalitionsvertrages würde der Kraftakt des SPD-Mitgliedervotums folgen. Immerhin soll Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) inzwischen einer großen Koalition offener gegenüberstehen.

Die SPD-Spitze ist penibel darauf bedacht, der Basis ergebnisoffene Gespräche über eine Koalition zu versichern. Posten würden ohnehin erst ganz am Schluss verteilt. Ursprünglich hatte die Parteispitze aber gehofft, alles bis zu ihrem Bundesparteitag am 14. November über die Bühne zu bringen - doch das ist kaum noch zu halten. Generalsekretärin Andrea Nahles schließt nicht aus, dass Deutschland bis Weihnachten noch keine neue Regierung hat.