Analyse: Blutiger Sommer in Afghanistan?

Berlin (dpa) - Es gehört zu den schwersten Aufgaben eines Verteidigungsministers, der deutschen Öffentlichkeit die Nachricht vom Tod deutscher Soldaten zu überbringen. Fast zwei Jahre blieb Thomas de Maizière dieser Gang vor die Kameras erspart.

Am Sonntagmorgen war es aber wieder so weit.

„Das war ein bitterer, ein blutiger Tag in Afghanistan. Wir werden ihn nicht vergessen“, sagte der Minister in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im Berliner Bendlerblock. „Ich bin unendlich traurig.“

Schon am Vortag hatte de Maizière erfahren, dass erstmals ein Soldat des Kommandos Spezialkräfte (KSK) von Aufständischen erschossen wurde. Die Aktivitäten der Elitetruppe werden normalerweise streng geheim gehalten. Diesmal handelte es sich um einen Routineeinsatz. Auf Wunsch des örtlichen Polizeichefs begleiteten die Deutschen in der Unruheprovinz Baghlan afghanische Spezialkräfte bei einem Einsatz gegen Aufständische. An einem Flussübergang wurden sie plötzlich von Taliban-Kämpfern mit Panzerfäusten und Handfeuerwaffen beschossen.

Mit schnell herbeigerufener Hilfe aus der Luft konnten die Aufständischen vertrieben werden - allerdings nur für kurze Zeit. Als afghanische und deutsche Kräfte die Kampfzone untersuchten, um Schäden zu erkunden, schlugen die Taliban erneut zu - und diesmal trafen sie. Ein KSK-Soldat erlag seinen Verletzungen noch am Einsatzort, ein verletzter Kamerad ist inzwischen außer Lebensgefahr.

Die Taliban hatten erst vor einer Woche den Beginn einer „Frühjahrsoffensive“ ausgerufen. Nach dem Vorstoß von Verteidigungsminister Thomas de Maizière für eine Präsenz der Bundeswehr am Hindukusch auch über 2014 hinaus hatte die Propaganda-Abteilung der Aufständischen Deutschland sogar ganz gezielt gedroht: Mit „Dschihad-Operationen“ werde man die Deutschen dazu bringen, ihre Entscheidung zu bereuen.

De Maizière hatte vor allen anderen Nato-Partnern angeboten, dass die Bundeswehr nach Ende des Nato-Kampfeinsatzes mit bis zu 800 Soldaten im Land bleibt. Ob der Angriff von Baghlan tatsächlich damit zusammenhängt, ist fraglich. Fest steht aber, dass sich die Bundesregierung nicht von ihren Plänen abbringen lassen wird. „Der Weg bleibt richtig“, erklärte de Maizière am Sonntag. Das gelte auch für die Zeit ab 2015.

Der Anschlag zeigt allerdings, wie fragil die Sicherheitslage in Afghanistan nur 20 Monate vor dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes noch ist. Im vergangenen Jahr hatte es Anzeichen der Hoffnung gegeben, dass Afghanistan auf dem richtigen Weg sein könnte. Erstmals seit Beginn des Engagements hatte die Bundeswehr keinen Toten zu beklagen. Zuletzt war am 2. Juni 2011 ein deutscher Soldat gefallen.

Der Internetdienst icasualties.org verzeichnete 402 ausländische Soldaten, die der Afghanistan-Einsatz das Leben kostete - nach 566 im Vorjahr und 711 im Jahr 2010, dem bislang verlustreichsten für die internationale Truppe Isaf. Die Zahl der zivilen Opfer des Konflikts ging 2012 erstmals seit Beginn der UN-Erhebung sechs Jahre zuvor zurück, 2754 Zivilisten starben, ein Minus von zwölf Prozent.

Andere optimistisch stimmende Angaben stellten sich allerdings als falsch heraus. Die Isaf musste im Februar einräumen, dass die Zahl der Taliban-Angriffe im vergangenen Jahr entgegen früherer Angaben doch nicht abgenommen hatte - die Statistik war fehlerhaft. Schon lange steigt die Zahl der Opfer unter afghanischen Sicherheitskräften. Im abgelaufenen afghanischen Kalenderjahr, das am 31. März endete, kostete der Konflikt alleine 1800 Polizisten das Leben.

Die Entwicklung in diesem Jahr lässt wenig Raum für Hoffnung. Das Innenministerium registriert eine Zunahme von Taliban-Angriffen, die UN verzeichnen wieder deutlich mehr zivile Opfer. Am Samstag wurden außer dem KSK-Soldaten noch sieben US-Soldaten getötet - es war der verlustreichste Tag für die Isaf seit Jahresbeginn.

Die Taliban zeigen sich im vorletzten Jahr des Isaf-Einsatzes schlagkräftig. Eine kleine Auswahl der Bluttaten vom April: Beim Angriff auf einen Gerichtskomplex in Westafghanistan wurden mehr als 50 Menschen getötet, die meisten davon Zivilisten. Im Süden riss ein Selbstmordattentäter fünf Amerikaner mit in den Tod, darunter eine junge US-Diplomatin - es war das erste Mal, dass ein amerikanischer Diplomat in Afghanistan getötet wurde. Im Osten überrannten Aufständische einen Armeeposten, 13 Soldaten starben.

Vieles deutet darauf hin, dass Afghanistan ein blutiger Sommer bevorsteht. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid sagte vor Beginn der „Frühjahrsoffensive“, alle logistischen Aufgaben seien erledigt. „Und wir haben unsere großen und kleinen Ziele ausgewählt, wo wir unseren Feinden die schwersten Opfer beibringen können.“