Analyse: BP einigt sich mit Ölpest-Klägern
London (dpa) - Es ist ein großer Schritt nach vorne für den Ölkonzern BP - doch die Ziellinie ist noch weit entfernt. Die Briten haben sich mit über 100 000 Klägern in den USA auf eine Entschädigung für das Öl-Desaster im Golf von Mexiko geeinigt.
Insgesamt 7,8 Milliarden US-Dollar werden in die Kassen von Fischern und Hotelbetreibern, Besitzern von Hot-Dog-Buden und Immobilienmaklern fließen, deren Geschäfte durch die Ölpest Schaden nahmen.
BP-Chef Bob Dudley hat damit einen großen Brocken aus dem Weg geräumt. Vor allem hat er zumindest mit den Privatklägern einen vermutlich jahrelangen Mammutprozess voller juristischer und kaufmännischer Unsicherheiten in New Orleans verhindert. Aber er hat auch ein gutes Stück mehr bezahlt, als ihm und seinen Aktionären lieb war. Die BBC sprach am Samstag von einem „großen, aber teuren Schritt“.
Dass das Dilemma noch lange nicht ausgestanden ist, machte die US-Regierung schon Stunden nach Bekanntgabe der Einigung unmissverständlich deutlich: „Die Vereinigten Staaten sind darauf vorbereitet, die verantwortlichen Parteien für die entstandenen Schäden in der Golfregion zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte ein Sprecher des Justizministeriums der Zeitung „Times-Picayune“. Die US-Bundesregierung sowie fünf Bundesstaaten und eine Vielzahl Kommunen wollen nicht lockerlassen.
Die privaten Kläger drückten aufs Tempo, sie wollten und mussten schnell Geld sehen. „Unser Ziel ist es, Geld an den Golf zu bringen. So schnell wie möglich“, sagte etwa Courtney Taylor von der Umweltorganisation Environmental Defense Fund, der „New York Times“. Experten vermuten, dass auch den Bundesstaaten an einer schnellen, außergerichtlichen Einigung liegen könnte - anders als der Zentralregierung, die Zeit hat. Eine Einigung mit den US-Behörden dürfte für BP weder billig noch einfach werden.
Wenn die Vereinbarung mit den Privatklägern endgültig unterzeichnet und ratifiziert ist, wird BP nach eigener Darstellung 29 Milliarden US-Dollar für die größte Ölkatastrophe in der US-Geschichte bezahlt haben. 14 Milliarden flossen allein für die Aufräumarbeiten, 7,5 Milliarden wurden bereits an Entschädigungen außerhalb der jetzt erzielten Einigung ausbezahlt. Insgesamt schätzt das Unternehmen die Gesamtkosten auf 37,2 Milliarden US-Dollar. Dass es allmählich knapp werden könnte mit der Kalkulation beweist die Tatsache, dass BP seinen Reservepuffer von 5,5 auf 3,4 Milliarden Dollar reduzierte.
Im Moment geht BP noch davon aus, dass die kalkulierten Kosten die tatsächlich anfallenden Zahlungen decken werden. Ob die Rechnung aufgeht, hängt vor allem von zwei Faktoren ab: Wieviel der Entschädigungs- und Strafzahlungen kann BP auf andere Firmen abwälzen? BP gehörten nur 65 Prozent an der ausgelaufenen Macondo-Ölquelle. 25 Prozent hielt der Anadarko-Konzern, zehn Prozent die Firma MOEX. Auch Plattformbetreiber Transocean und die für fehlerhafte Zementierung verantwortliche Firma Halliburton sollen laut BP mitzahlen.
Und noch wichtiger: Schafft es die Gegenseite, BP beim Umgang mit der „Deepwater Horizon“ grobe Fahrlässigkeit nachzuweisen? In diesem Fall, den BP unbedingt abwenden will, würden die erwartbaren Entschädigungen für den Staat allein aus dem Wasserreinhaltungsgesetz von rund fünf Milliarden Dollar auf bis zu mehr als 20 Milliarden Dollar anschwellen. Hinzu kämen mögliche strafrechtliche Konsequenzen. Die Angst davor ist in London groß. Nicht umsonst hatte man schon vor einem Jahr mit großem Aufwand versucht, den Gerichtsstand im texanischen Öl-Mekka Houston zu wählen - vergebens.
Ein nicht ganz unwichtiger Posten sind auch die Anwaltskosten. Insgesamt sollen bereits 1,7 Milliarden Dollar in die Kassen der Rechtsbeistände geflossen sein. Allein die US-Kanzlei Baron Budd hatte ein Team von neun ihrer Top-Juristen seit Monaten im Einsatz, um den Steuerkreis der Privatkläger zu vertreten. Zeitungen berichteten von regelmäßigen Juristenpartys in New Orleans, bei denen Anwälte der Kläger- und Beklagtenseite gemeinsam nette Abende verbrachten. Ein Grund mehr für BP, einem langatmigen Prozess mit den US-Behörden aus dem Weg zu gehen.