Analyse: Bürger zwischen Empörung und Abstumpfung
Düsseldorf (dpa) - Ein Sozialkaufhaus am Rande der Düsseldorfer Innenstadt: Für die Kundschaft fühlt es sich an diesem Mittwoch so an, als sei das politische Berlin noch viel weiter weg, als die fast 600 Kilometer, die tatsächlich zwischen beiden Städten liegen.
Zehn Stunden ist es her, dass die Hartz-IV-Verhandlungen von Bundesregierung und Opposition gescheitert sind. Ob der Regelsatz bald vielleicht um 5 auf dann 364 Euro steigt - die meisten Kunden in dem Sozialkaufhaus reagieren beinahe gleichgültig auf die Debatte.
Bis auf einen älteren Herrn, der gerade an einer Kleiderstange im Untergeschoss nach passenden Hemden sucht. „Die wissen überhaupt nicht, was eine Scheibe Brot kostet“, schimpft der Mann in Richtung Berlin. „Die machen sich lächerlich“, wettert er und sucht das Weite.
Für zwei Euro werden in dem Sozialkaufhaus Sakkos in altmodischem Karomustern feilgeboten. Ein paar Meter weiter sind Sofas, Bettgestelle und auch Fernseher ausgestellt. Interessiert schaut sich eine Frau nach der Trödelware um. Für den Gefühlsausbruch des älteren Herrn hat sie Verständnis, auch wenn sie selbst nicht auf Hartz IV angewiesen ist, wie sie sagt.
„Manche Leute sind wirklich bedürftig“, meint die 48-Jährige, die ihren Namen lieber nicht verraten will. „Und denen muss man helfen.“ In die Politikerschelte des älteren Herrn will sie zwar nicht einstimmen. Und doch: „Wenn man sich nur mit Politik beschäftigt, hat man keinen Einblick, was die Leute tagtäglich erleiden“, sagt die Frau nachdenklich. „Die müssten vielleicht mal für einen Monat mit einem Hartz-IV-Empfänger tauschen.“
Dem Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge leuchten solche Reaktionen ein. „Ich habe den Eindruck, dass es bei den Hartz-IV-Verhandlungen gar nicht mehr um die Sache geht“, sagt der Politikwissenschaftler und spricht von einem „Gerangel auf dem Rücken der Betroffenen“. In Wirklichkeit gehe es den beteiligten Parteien um „Geländegewinne“ vor den anstehenden Landtagswahlen.
„Der Demokratie tut das nicht gut“, warnt Butterwegge. Denn wenn sich die Betroffenen mit ihren Problemen nicht mehr ernst genommen fühlten, folge daraus Politikverdrossenheit - oder zumindest eine Art Politiker-Verdrossenheit. Schon jetzt sei die Wahlbeteiligung in sozialen Brennpunkten erschreckend niedrig, erläutert der Professor.
Genervt reagieren denn auch manche Kunden in dem Düsseldorfer Sozialkaufhaus. „Die Debatte höre ich zu oft und schon zu lange“, kommentiert der 44-jährige Martin Lück das Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen. Viel mehr mag er nicht dazu sagen, er selbst sei aber auch kein Hartz-IV-Empfänger, ergänzt er.
Anders Mohammed Zahnon, der mit seinen drei Kindern zurzeit auf die Grundsicherung angewiesen ist. Ihn stört vor allem das Lavieren der Politiker. „Entweder man macht die Erhöhung oder eben nicht“, sagt Zahnon, der arbeitslos ist seit sein kleines Nudelrestaurant den Bach heruntergegangen ist. Trotzdem zeigt der 45-Jährige Verständnis. Denn fünf Euro seien für den einzelnen zwar nicht viel, sagt er. In der Summe gehe es aber um Milliardenbeträge.