Analyse: Der Streit um den „Schwarzen Peter“ bei Hartz-IV
Berlin (dpa) - Das Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen schien von Anfang an festzustehen.
Sichtlich genervt vom siebenwöchigen Tauziehen zwischen Regierung und Opposition gab Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gleich am Anfang die Devise von einer „letzten“ Runde aus - noch bevor sie überhaupt den Saal betreten hatte. Doch es dauerte dann doch noch einmal sechs Stunden, bis die Arbeitsministerin und die SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig das „bedauerliche Scheitern“ der Gespräche offiziell verkündeten.
Doch wie geht es nun weiter? Das politische Prozedere, dass an diesem Mittwoch beginnt, ist für Außenstehende kaum noch nachvollziehbar. Die Koalition wird ihr Hartz-IV-Paket einschließlich ihrer in den Verhandlungsrunden mit der Opposition angebotenen Verbesserungen im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag zur Abstimmung stellen - und diese auch gewinnen. Denn im Vermittlungsausschuss haben Union und FDP die Mehrheit. Man spricht aber dabei von einem „unechten“ Ergebnis, weil die Mehrheit im Vermittlungsausschuss nicht das tatsächliche Stimmenverhältnis im Bundesrat widerspiegelt.
Der zweite Akt folgt dann am Freitag im Bundesrat. Weil dort keine Seite eine Gestaltungsmehrheit hat und Enthaltungen als Nein-Stimmen gezählt werden, kann das Hartz-IV-Gesetz wieder durchfallen und das „unechte“ Ergebnis des Vermittlungsausschusses zur Makulatur erklärt werden. Das muss aber nicht sein, wenn es der Bundesregierung gelingt, auch nur ein Bundesland umzustimmen, dass sich bisher aus Koalitionsräson zur Enthaltung verpflichtet sah. Als mögliche Kandidaten gelten dafür die CDU/SPD-Koalition in Sachsen-Anhalt oder die schwarz-grün-gelbe Koalition im Saarland.
Denn das Angebot des Bundes, die Kommunen durch Übernahme der Sozialkosten für arme Rentner um mindestens 3,5 Milliarden Euro jährlich zu entlasten, klingt zunächst verlockend - auch wenn die Stadtkämmerer dafür die Kosten für das Bildungspaket für bedürftige Kinder und die Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose gegenrechnen müssen. Auch werden viele Kommunen darüber klagen, dass sie eigentlich mit der noch ausstehenden Reform der kommunalen Finanzen unter dem Strich doch deutlich mehr Geld vom Bund erwartet hätten.
Gelingt es der schwarz-gelben Koalition am Freitag aber nicht, wenigstens ein weiteres Bundesland für ihr Hartz-IV-Paket zu gewinnen, gilt der alte Parlamentarierspruch „Wer raus geht, muss auch wieder rein kommen“ - und die Verhandlungen beginnen wieder von vorn.
In knapp zwei Wochen wird in Hamburg gewählt, im März stehen die Urnengänge in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg an. Schon seit Tagen wird in Berlin gemunkelt, dass man frühestens Ende März zu einer sachlicheren Arbeitsatmosphäre zurückfinden wird.
Als in der Nacht zum Mittwoch das vorläufige Aus des wochenlangen Verhandlungspokers verkündet wurde, fehlte es nicht an gegenseitigen Schuldzuweisungen. Keine Seite wollte den „Schwarzen Peter“ zugeschoben bekommen. Und schließlich hatte man doch auch noch einmal sechs Stunden gefeilscht. Jeder hatte noch einmal neue Vorschläge gemacht, sich ein wenig bewegt - doch offensichtlich jeweils für den anderen in die falsche Richtung.
Die SPD hatte sich einen Ruck gegeben und beim Thema gleicher Lohn für gleiche Arbeit als Kompromiss sogar eine vier-Monats-Frist zugebilligt. Die Koalition hatte beim Mittagessen noch einmal nachgelegt und will nun auch Kita-Kindern aus armen Familien eine warme Mahlzeit finanzieren. Doch irgendwie hakte es an allen Ecken und Enden. Die Vorstellungen wollten sich einfach nicht in Einklang bringen lassen.
„Irgendwann muss man deutlich machen, dass man nicht weiter kommt“, begründete von der Leyen den Gesprächsabbruch. SPD und Grüne gaben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Schuld. „Merkel hat ein Machtwort gesprochen - und dieses Machtwort war, dass die Verhandlungen scheitern sollten“, meinte Schwesig.
Beide Seiten fühlen sich bei dem Streit im Superwahljahr 2011 ihren politischen Lagern verpflichtet. Die SPD ist entschlossen, im Vermittlungsverfahren keine Zugeständnisse zu machen, die ihr gerade wieder gekittetes Verhältnis zu den Gewerkschaften beeinträchtigen.
Und die FDP will gegenüber der Wirtschaft jegliches Signal vermeiden, dass man innerhalb der Koalition in Sachen Mindestlohn zu nachgiebig ist. Schwesig sagte, sie habe bei den Verhandlungen die FDP „wie ein Klotz am Bein“ empfunden.
Der Ausgang des Spiels ist für beide Seite ungewiss. Scheitert das Hartz-IV-Paket am Freitag im Bundesrat, könnte es für die Bundesregierung unter Umständen noch schwierigen und auch teuerer werden, das Paket nach den Landtagswahlen rechtswirksam werden zu lassen. Lenkt aber ein Bundesland ein, dann sind die Oppositionsparteien die Blamierten.