Analyse: Bundesregierung hadert mit Klimaschutz-Tempo
Berlin (dpa) - In Rio de Janeiro hat Peter Altmaier einfach mal die Tür zugemacht, Stühle zusammengestellt und sich ausgeruht. Seit dem Rio-Umweltgipfel weiß der Bundesumweltminister, wie erschöpfend und zäh Verhandlungen für eine bessere Welt auf dem internationalen Parkett sind.
Altmaier legt seit seinem Amtsantritt am 22. Mai ein enormes Tempo vor, knüpft unentwegt Kontakte, redet, hört zu. Schlaf ist zum Luxusgut geworden, vier Stunden müssen oft reichen.
Der CDU-Politiker würde vor der Sommerpause auch gerne den Klimaschutz noch etwas beschleunigen. Aber die Widerstände sind enorm, beim Fortschritt ist eher Entschleunigung die treffende Umschreibung. Der 54-Jährige und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollen heute mit 35 Staaten beim 3. Petersberger Klimadialog in Berlin über mehr Tempo im Kampf gegen die Erderwärmung beraten.
Aber schon die EU als selbst ernannter Vorreiter kann sich nicht darauf einigen, eine Verringerung des CO2-Ausstoßes um 30 statt um 20 Prozent bis 2020 zu beschließen. Merkel fordert ein rasches, „bindendes und sehr ambitioniertes“ globales Klimaschutzabkommen.
Das Problem, das Altmaier beim enttäuschenden Umweltgipfel von Rio bitter hatte kennenlernen müssen: Die Vereinten Nationen verfolgen mit dem Einstimmigkeitsprinzip zwar hehre Vorstellungen, aber die Dominanz egoistischer Eigeninteressen nimmt eher zu als ab. Daher wird der Ruf nach einer Koalition der Willigen immer lauter. Aber wenn einige Staaten ihren CO2-Ausstoß drastisch mindern, andere aber dafür noch mehr rauspusten, ist das Ganze ein Nullsummenspiel.
Wie dringlich Handeln ist, zeigt selbst der deutsche Sommer. Viel Regen, Hagel und massive Gewitter entsprechen Extremwetter-Prognosen von Klimaforschern. Die Zahl wetterbedingter Naturkatastrophen hat sich in Deutschland seit den 70er Jahren mehr als verdreifacht. Ganz zu schweigen von Veränderungen in Ländern wie Bangladesch. Hier könnten bald bis zu 35 Millionen Menschen durch Überflutungen zu Flüchtlingen werden. Umweltminister Hasan Mahmud fasste das globale Klimadilemma 2011 in eindringliche Worte: „Wir sind alle Passagiere der Titanic.“ Nur seine Bürger seien leider die Ersten im Wasser.
Der Klimadialog soll vor allem den UN-Klimagipfel im Dezember im Ölland Katar vorbereiten. Schon in den Vorjahren war das Treffen, das zunächst auf dem Bonner Petersberg stattfand und seit 2011 in Berlin beheimatet ist, hilfreich. Altmaier und Merkel sehen den Dialog vor allem als „vertrauensbildende Maßnahme“.
„Wir haben aber ganz bewusst mit Ländern wie Katar, den USA, Indien und China auch diejenigen eingeladen, die bisher ein Problem waren“, sagt Altmaier, der an das Wirken seines Vorgängers Norbert Röttgen in den Klimaschutzverhandlungen anknüpfen will. Er will besonders auf China und die USA einwirken. Altmaier zweifelt, ob die von den 193 UN-Staaten angepeilte Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad überhaupt noch zu schaffen ist. Das Ziel könnte angesichts bisheriger Klimaschutzzusagen in akute Gefahr geraten.
Wie kompliziert Fortschritt ist, zeigt ein Rückblick auf die letzten Klimakonferenz in Durban: Südafrikas Außenministerin Maite Nkoana-Mashabane verlässt am 11. Dezember 2011 um 5.30 Uhr morgens das Podium. Sie wirkt wahnsinnig müde. Und glücklich, denn kurz zuvor stand der ganze UN-Klimaprozess auf dem Spiel. Eine Allianz aus EU, Inselstaaten und afrikanischen Ländern attackierte eine Gruppe von Verweigerern um Indien. Die Ansage: Ein Ja zu einem Fahrplan für einen Weltklimavertrag oder gar nichts.
Die resolute EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard betont: „Die EU hat viele Jahre Geduld bewiesen“. Indiens Umweltministerin Jayanthi Natarajan willigt nach lautstarkem Ringen in einen von Südafrikas Außenministerin initiierten Kompromiss ein. Allerdings weiß keiner, ob aus der Formel „Vereinbarung mit rechtlichem Druck“ auch wirklich der nötige Weltklimavertrag mit rechtlich bindenden Verpflichtungen für eine Verringerung des Kohlendioxid-Ausstoßes werden kann.
Dieser soll bis 2015 ausgearbeitet werden und 2020 in Kraft treten. Dafür sollen die Europäer sich in Katar zu einer Fortsetzung des Kyoto-Protokolls bekennen und weiter verpflichtend binden, also quasi in Vorleistung treten. Andere Kyoto-Staaten wie Kanada sind aber jüngst ausgestiegen, so dass nur noch 15 Prozent der weltweiten Emissionen erfasst werden - Verbesserung ist nicht in Sicht.
Merkel geht davon aus, dass es bis 2015 harte Verhandlungen geben wird, etwa welche Region der Welt welchen Beitrag zur Minderung des Treibhausgasausstoßes leisten muss. Daher sei der Klimadialog wichtig, um voranzukommen. Die Zeit bis 2015 dürfe nicht mit Nichtstun verstreichen. Denn allein China und die USA verursachen mehr als 40 Prozent der globalen CO2-Ausstöße - gerade bei den USA sind wegen der Wahlen vorerst keine Akzente zu erwarten. Ein weiteres Problem: Die geplanten Milliardensummen für Klimaschutzmaßnahmen und Hilfen für Länder wie Bangladesch könnten durch die Euro-Krise schwieriger aufzutreiben sein. Die eine Krise überlagert die andere - Altmaier wird beim Klimadialog viel reden müssen. Und wenig lösen können.