Analyse: CDU mit Kursschwenk in Sachen Mindestlohn
Jahrzehntelang hat sich die Union gegen einen flächendeckenden Mindestlohn gestemmt - doch nun holt die Realität die Partei ein. Mit einem neuen Modell will sie nun Tarifautonomie gewährleisten und der zunehmenden Gerechtigkeitsdebatte in den eigenen Reihen begegnen.
Berlin (dpa) - Nein, von einer neuerlichen Solisten-Kehrtwende der Kanzlerin und Parteichefin will in der CDU-Spitze niemand sprechen. Anders als bei der Abschaffung der Wehrpflicht, dem Atomausstieg oder in der Bildungspolitik (Stichwort: Hauptschulabschluss) sei der Anstoß für den nächsten Kursschwenk aus der Mitte der Partei gekommen - und nicht von Angela Merkel oder anderen CDU-Granden, wird in der Führungsetage der Partei betont.
Doch der Vorsitzenden dürfte das Thema, das sich tatsächlich seit Monaten etwa auf CDU-Regionalkonferenzen entwickelt hat und nun in einen Parteitagsbeschluss münden soll, sehr recht kommen: Mit einer Entscheidung für einen flächendeckenden Mindestlohn könnte die Kanzlerin mit einem Gerechtigkeitsthema auch beim nächsten Bundestagswahlkampf punkten - und so den Sozialdemokraten einen wichtigen Angriffspunkt nehmen.
Und auch die Gewerkschaften könnten sich wohl in dem Mindestlohn-Modell der Union wiederfinden, heißt es in der CDU. Anders als bei einer vom Gesetzgeber bestimmten Mindestlohnhöhe könnten die Arbeitnehmervertreter damit wieder an Bedeutung gewinnen. Angesichts der immer weiter abnehmenden Gewerkschaftsbindung sollte das den Funktionären von DGB & Co. durchaus entgegen kommen, hofft man in der CDU - auch das dürfte im Wahlkampf nicht vergessen werden.
Zwar bemüht sich der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter am Montag, Superlative und eine konkrete Einschätzung zu vermeiden. Doch zugleich wirft er einen starken Satz in die Debatte, mit der Merkel die Diskussion weiter in die von ihr gewünschte Richtung forcieren dürfte: „Die Bundeskanzlerin sieht es so, dass es hier um die Würde der Arbeit geht.“ Die Würde der Arbeit - da sollen die parteiinternen Kritiker erstmal ein gutes Gegenargument finden.
Schon seit Jahren verlangen SPD und Gewerkschaften einen gesetzlichen Mindestlohn. Und seit Wochen, so beschreiben sie es im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Zentrale, zeichnete sich das Thema auch in der Union ab. Die Debatte über „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ oder die Banker, die trotz Bankenkrise Riesen-Boni einstreichen - auch an der CDU-Basis wird über diese Themen heiß debattiert. Und kaum ein Bürger kann verstehen, warum Milliarden für die Bankenrettung locker gemacht werden, zugleich aber die Zahl jener steigt, die nicht von ihrer Arbeit leben können.
„Auf jeder Regionalkonferenz ist das Gerechtigkeitsthema angesprochen worden“, heißt es in der CDU. Am Ende sei die Parteispitze einfach nicht mehr um das Thema herumgekommen. Ein anderer Parteistratege bringt es auf den kurzen Nenner: „Es war nötig, dass die Partei ein weiteres Signal an die Bevölkerung und die Arbeitnehmer im Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit sendet.“ Und angesichts der ziemlich erfreulichen Arbeitsmarktdaten sei es nun eben auch möglich, nicht mehr nur darüber nachzudenken, auf welche Art neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, sondern auch darüber, wie gut Arbeit bezahlt wird.
Führende Köpfe der CDU betonen am Montag die Linie, mit der die Union sich von ihrer früher so strikten Ablehnung eines gesetzlichen Mindestlohns in der aktuellen Debatte distanzieren will. Zentral sei, dass sich bei dem nun diskutierten Modell Arbeitgeber und Gewerkschaften auf eine Lohnuntergrenze einigen sollen - und nicht der Gesetzgeber einen solchen Lohn vorgibt. Die Tarifautonomie bleibe gewahrt, versichern Fraktionschef Volker Kauder (CDU) und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, darauf komme es an.
Dass der Antrag, auf den sich die zuständige Kommission für den Leipziger Parteitag in zwei Wochen geeinigt hat, keine technischen Details zur Umsetzung enthält, mag der Union nicht ungelegen kommen. Denn in der Konsequenz bedeutet auch der CDU-Vorschlag eine Art gesetzlichen Mindestlohn. Damit Arbeitnehmer eine solche Regelung durchsetzen können, muss eine Rechtsverordnung geschaffen oder ein bestehende Regelung verändert werden - etwa das Entsendegesetz. Und dies müsste dann eben doch - auf Vorschlag der neuen Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften - letztlich der Gesetzgeber regeln.