Analyse: Der ägyptische Vulkan wird so schnell nicht zur Ruhe kommen

Kairo/Istanbul (dpa) - „Schicksalsschlacht - der Staat gegen die Bruderschaft“, titelt „Al-Masry Al-Youm“. Doch ganz so klar, wie es die unabhängige Kairoer Tageszeitung darstellt, sind die Fronten in diesem brutalen Machtkampf nicht.

Denn das Blutbad vom Mittwoch hat in Ägypten nicht nur die Kluft zwischen den säkularen Parteien und den islamistischen Anhängern von Ex-Präsident Mohammed Mursi vertieft. Es hat auch zu einer weiteren Zersplitterung innerhalb der beiden Lager geführt.

Niemand zeigt Kompromissbereitschaft. Unterstützer des inhaftierten Ex-Präsidenten attackieren auch am Tag nach der gewaltsamen Räumung ihrer Protestlager wieder Polizeistationen und Verwaltungsgebäude. Die christliche Minderheit geht nach einer Welle von Brandanschlägen und Plünderungen angstvoll in Deckung. Im Lager der Islamisten gibt es Aktivisten, die ganz auf friedlichen Protest setzen und andere, die es darauf anlegen, die Staatsmacht durch Sabotage und bewaffnete Angriffe zu provozieren.

Bei den Gegnern der Muslimbrüder verläuft jetzt ein neuer Graben zwischen Politikern, denen im Kampf gegen die Islamisten jedes Mittel recht ist und denjenigen, die vor einer Rückkehr zum alten Polizeistaat warnen. Nobelpreisträger Mohammed ElBaradei wandte sich voller Abscheu ab und trat als Vizepräsident zurück, nachdem die Räumung der Protestlager eine Spirale der Gewalt ausgelöst hatte. Dafür wird er jetzt von vielen ehemaligen politischen Weggefährten kritisiert.

Andere Mitglieder der Nationalen Rettungsfront, zu deren wichtigsten Vertretern ElBaradei bislang gehörte, veröffentlichten am Mittwochabend eine Erklärung, die dazu angetan ist, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Das säkulare Bündnis triumphiert darin: „Heute hat Ägypten sein Haupt stolz erhoben, um der ganzen Welt nicht nur seinen Sieg über die politischen Kräfte bekanntzugeben, die sich in Ägypten und der Region der Religion bedienen. Vielmehr geht es auch um seinen Sieg über die Verschwörungen einiger Staaten, die versucht hatten, die Herrschaft der Führung der Muslimbruderschaft zu stützen.“ Ein Sprecher der „Tamarud“-Bewegung, die das Militär Ende Juni mit ihren Massenprotesten dazu ermutigt hatte, Mursi abzusetzen, schlug sogar die Ausweisung des türkischen Botschafters vor - weil sich die Regierung in Ankara auf die Seite der Muslimbrüder gestellt hat.

Die Muslimbrüder sehen sich trotz der Attacken einiger ihrer Anhänger auf staatliche Institutionen und christliche Gotteshäuser immer noch ausschließlich in der Opferrolle. Ihr Heil suchen sie weiter in Protesten und Sabotageakten. Aufrufe führender islamischer Geistlicher, die Krise durch Dialog zu beenden, verhallen folgenlos.

„Von jetzt an wird es nur noch schlimmer“, orakelt Issandr al-Amrani, ein Kommentator des populären Blogs „The Arabist“. Er hält die liberalen Politiker für naiv, die hoffen, mit Hilfe der Armee einen Neustart des Wandels zu erreichen. Der war schon nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak 2011 misslungen. Gleichzeitig warnt er die Islamisten davor zu glauben, sie kämen mit Protesten und Aufruhr zum Ziel: „Ihre Gegner werden die rhetorische und physische Gewalt der Anhänger dieses Lagers begrüßen, um damit ihre eigene Gewalt zu rechtfertigen.“