Analyse: Der Kampf um die Richtung der Energiewende

Berlin (dpa) - Nord gegen Süd, FDP gegen Union und konventionelle Energiewirtschaft gegen Wind- und Solarbranche. Die Energiewende krankt am fehlenden Konsens bei ihrer Umsetzung. Und an der fehlenden Kostenkontrolle.

Peter Altmaier ist ein eher gemütlicher Mensch. Hektische Reaktionen, Aktionismus und Panik sind nicht sein Ding. Der CDU-Bundesumweltminister wusste genau, was da am Montag mit der Bekanntgabe der neuen Ökostrom-Umlage auf ihn zukommen würde. Und so baut er sich vor den Kameras in seinem Ministerium auf und sagt auch in Richtung der FDP, die eine Senkung der Steuerlast beim Strompreis will: „Ich glaube, dass wir jetzt ruhiges Blut bewahren müssen.“

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sieht die Energiewende bereits am Scheideweg, wenn die Regierung ihre Kosten nicht gerechter verteile. Die FDP fordert von Altmaier ein rasches Auslaufen der Ökostrom-Förderung. Der ist dafür durchaus empfänglich: Wenn Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) ihm eine Mehrheit dafür bei den Ländern organisiert, wäre er sofort dabei.

Studie um Studie wird seit Wochen veröffentlicht, um Stimmung für oder gegen die Energiewende zu machen. Hinter den Attacken gegen die Kosten der Ökostrom-Förderung verbirgt sich ein Verteilungskampf, gerade die Atomkonzerne müssen um ihre Marktanteile fürchten.

„Die Energiewende führt zu einer Demokratisierung der Energieversorgung“, schreibt der auf Energiefragen spezialisierte Jurist Peter Becker in einem aktuellen Aufsatz. „Hier liegt der eigentliche Anlass für die Auseinandersetzungen um die Energiewende.“ Becker verweist auf den US-Ökonomen Jeremy Rifkin, der das Jahrhundertprojekt Energiewende als dritte industrielle Revolution bezeichnet habe.

Doch auch die einflussreiche Solar- und Windlobby muss sich fragen lassen, ob ihr Eintreten für einen weiterhin unkontrollierten Ausbau der Sache dienlich ist. Altmaier will das Projekt mit Hilfe von regionalen Ausbauquoten mehr steuern. Denn bisher wird überall dort ein Windrad oder ein Solarpark angeschlossen, wo man eine Genehmigung bekommt. Seit Wochen werden neue Rekordzahlen für die zwangsweise Abschaltung von Windparks erwartet, weil ihr Strom vergangenes Jahr sonst regionale Netze an den Rand des Zusammenbruchs geführt hätte.

Diese Ausfälle müssen die Bürger aber über ihre Stromrechnungen ebenfalls mitbezahlen, ebenso künftig Entschädigungen für Probleme beim Netzanschluss von Windparks auf hoher See.

Ein politischer Streitpunkt zwischen Bund und Ländern ist zudem, woher der Ökostrom kommen soll. Wenn Bayern nicht zu abhängig von Windkraft aus Schleswig-Holstein werden will, müssen im Süden mehr Biogasanlagen gebaut werden. Doch schon heute sind Mais-Monokulturen ein Problem, hervorgerufen auch durch den Bedarf für Biogasanlagen. Der Industrieverband BDI warnt vor kostentreibender „Energie-Kleinstaaterei“ der Länder.

Solange unklar ist, ob Bayern eigene Wege beschreiten will, ist fraglich, ob es die geplanten mindestens 25 000 Megawatt Windkraft in Nord- und Ostsee braucht. Und wo neue Gaskraftwerke als Ersatz für die Atommeiler gebaut werden sollen. Ebenso ist unklar, wie sie sich rechnen sollen, bei immer mehr Strom aus Solar- und Windparks. Schon wird über neue Boni-Systeme für solche Kraftwerke diskutiert, die womöglich auch auf die Verbraucher-Strompreise aufgeschlagen würden.

Ein Konsens über die Richtung der Energiewende herrscht derzeit noch nicht einmal in der Bundesregierung. Die FDP will weg vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), doch die bisher und auf 20 Jahre garantierten Ökostrom-Vergütungen müssten ohnehin weitergezahlt werden. Die Partei kann sich für ein Modell erwärmen, bei dem die Versorger bestimmte Ökostrom-Quoten erfüllen sollen, es aber keine Abnahmepflicht und garantierte Vergütung für Grünstrom mehr gibt.

Der Energiewissenschaftler Uwe Leprich hält das Modell für untauglich: „Das vielfach vorgebrachte Argument der Kosteneffizienz konnte bei näherer Betrachtung der Vorschläge in keinem Punkt bestätigt werden.“ Es würde die Energiekonzerne bevorteilen, weil sie sich aussuchen könnten, wem sie künftig den grünen Strom abnehmen.

So gleicht das Ganze einer Großbaustelle. Die Kostendebatte wirft auch die Frage auf, ob die Energiewende vor allem direkt vom Bürger bezahlt werden soll - oder ob andere Lastenverteilungen denkbar sind. Die Grünen fordern eine stärkere Beteiligung der Industrie. Insgesamt könnten die Stromkosten der Bürger so um 4,2 Milliarden Euro jährlich gesenkt werden, meint Fraktionsvize Bärbel Höhn. Das würde die Stromrechnung von Haushalten um 35 bis 40 Euro pro Jahr entlasten.