Analyse: Deutsch-französischer Überraschungscoup
Berlin (dpa) - Der Gipfel vor dem Gipfel: Deutschland und Frankreich ebnen überraschend den Weg für das zweite Griechenland-Rettungspaket. Damit kann der EU-Sondergipfel doch noch ein Erfolg werden.
Am Ende machen es die Chefs allein. Genauer gesagt zwei Chefs: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Ihre „gemeinsame Position“, die sie nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert nach einem nächtlichen, mehr als sechsstündigen Ringen im Kanzleramt gefunden haben, wird aller Voraussicht nach eine Schicksal entscheidende Weichenstellung bei dem EU-Sondergipfel in Brüssel nach sich ziehen: Das Ja zum für Griechenland finanziell überlebenswichtigen zweiten Rettungspaket.
Sind sich Deutschland und Frankreich als die beiden wohl einflussreichsten EU-Staaten einig, ziehen die anderen Staats- und Regierungschefs nach, heißt es. Andernfalls gebe es keine Lösung.
Als sich die Nachricht verbreitet hatte, dass Sarkozy wegen der Griechenland-Krise die Kanzlerin in Berlin treffen werde, lautete der Kommentar deutscher Finanzexperten: Fehlt nur noch der EZB-Chef. Denn der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, sei wie Sarkozy einer der entscheidenden Widersacher von Merkel bei der Rettung Athens. Sie wollen vor allem anders als Deutschland keine verbindliche Beteiligung von Banken und Versicherungen. Die EZB und französische Banken haben umfangreich griechische Staatsanleihen gezeichnet und somit viel zu verlieren. Am Abend flog Trichet überraschend ein. Die Runde war komplett.
Obwohl keine Ergebnisse des Dreier-Treffens mitgeteilt wurden, galt es schon als hoffnungsvolles Zeichen, dass sich Sarkozy, Merkel und Trichet nur wenige Stunden vor Beginn des Sondergipfels allein getroffen haben. Die verkündete deutsch-französische gemeinsame Position scheint die Kuh vom Eis geholt zu haben. Und wenn auch noch die EZB mit den Vorschlägen einverstanden ist, dürfte einem Gipfelbeschluss zum zweiten Griechenland-Paket nichts mehr im Wege stehen.
Die Kanzlerin hatte keinen Hehl daraus gemacht, was sie von dem EU-Sondergipfel hielt: Nichts. Vorige Woche hatte sie die Voraussetzung für ein Treffen klar benannt: Es müsse ein fertiges Programm für Athen vorliegen. „Das kann man jetzt nicht sagen.“ Sie trat weiter auf die Bremse und dämpfte Erwartungen, dass Griechenlands Zahlungsfähigkeit auf lange Sicht gewährleistet und andere Kandidaten aus dem Krisen-Sog herausgehalten werden könnten. Es werde den abschließenden, großen Schritt nicht geben - „auch nicht am Donnerstag“, sagte Merkel.
Ihre Lust, ohne Aussicht auf ein großes Ergebnis nach Brüssel zu reisen, hielt sich deutlich in Grenzen. Nun sieht es anders aus. Merkel fährt zum Gipfel - und das mit Absprachen mit Sarkozy und Rücksprache mit Trichet und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy als Sicherheit. Merkels Devise: Am besten Ergebnisse erzielen, die über den Erwartungen liegen - die sie vorher selbst heruntergeschraubt hat. Wer sich am Ende durchgesetzt hat, ob die Banken doch stärker in die Pflicht genommen werden oder es eine von der EZB bisher strikt abgelehnte Umschuldung geben wird, blieb in der Nacht noch offen.
Wichtig sei nur, dass es eine dauerhafte Lösung ist, hieß es bei deutschen Finanzexperten. Der Haushaltsexperte der CDU, Norbert Barthle, hatte der Deutschen Presse-Agentur vor dem Gespräch im Kanzleramt gesagt: „Frankreich muss sich bewegen.“ Er verteidigte die deutsche Linie, den Druck auf Griechenland zum Sparen aufrecht zu erhalten. Kräftige Finanzspritzen würden zwar die Märkte beruhigen, das Problem aber nicht lösen. In der schwarz-gelben Koalition hieß es, mit ihrem Widerstand gegen einen schnellen Gipfel habe Merkel Trichet und Sarkozy unter Druck gesetzt. Nicht sie sei zu ihnen geflogen, sondern die beiden Männer seien nach Berlin gekommen.