Analyse: Deutschland schrammt an Rezession vorbei
Wiesbaden (dpa) - Die deutsche Wirtschaft dürfte mit einer Schramme davonkommen. Zwar hält die Euro-Schuldenkrise den Kontinent weiter in Atem - doch die Reformbeschlüsse von Madrid über Rom bis Brüssel haben die Lage etwas entspannt.
Davon profitiert auch die Exportnation Deutschland, die mehr als 60 Prozent ihrer Ausfuhren in andere EU-Länder liefert. „Die Schwächephase geht gerade zu Ende. Im Frühjahr nimmt die deutsche Konjunktur wieder Fahrt auf“, sagt Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater voraus.
Allerdings waren Prognosen selten so schwierig wie jetzt: Ein Krisen-Gipfel jagt den nächsten, Banken wackeln, Athen ist nicht gerettet und die Zukunft des Euro bleibt ungewiss. Dennoch: Zuletzt deuteten überraschend positive Daten auf ein Ende der Talfahrt zumindest in Deutschland hin. Die Prognosen für das deutsche Wachstum 2012 reichen von einer „schwarzen Null“ bis zu fast einem Prozent. Einig sind sich die Ökonomen: Die zweite Jahreshälfte wird besser.
Ende 2011 war die Situation noch deutlich dramatischer. „Der Stachel der Staatsschuldenkrise saß tief“, betont DIHK- Konjunkturexperte Dirk Schlotböller. Ab Mitte 2011 seien die Verbraucher sehr verunsichert gewesen, besorgte Unternehmer hätten Investitionen zurückgestellt. Und die Märkte waren sehr nervös.
Die Folge: Die Wirtschaft in den Euro-Ländern rutschte erstmals seit Anfang 2009 wieder ins Minus. Vor allem die südlichen Schuldenländern gerieten durch einen harte Konsolidierungskurs tief in den Abwärtssog.
Selbst Musterknabe Deutschland ließ Federn, die Wirtschaft schrumpfte zum Vorquartal um 0,2 Prozent. Europas Konjunkturmotor stottert zwar, aber er fällt nicht aus, ist Schlotböller überzeugt: „Wir sehen keine Rezession in Deutschland. Wie wir aus den Unternehmen hören, läuft die Wirtschaft weiter rund.“
Allerdings war der Exportwirtschaft, die eigentlich eine wichtige Stütze der deutschen Konjunktur ist, am Ende des Rekordjahres 2011 die Puste ausgegangen. Der Außenhandel bremste das Wachstum im Schlussquartal sogar. Vor allem die Euroländer, die unter riesigen Schuldenbergen ächzen, bestellten weniger Waren aus Deutschland.
Inzwischen mehren sich aber die Hoffnungsschimmer am Horizont. „Die Eurokrise mündet nicht in einer Abwärtsspirale für die Weltkonjunktur“, ist Kater überzeugt. Gerade die boomenden Schwellenländer wie China hätten nach kräftigen Bremsmanövern wieder Fahrt aufgenommen. Das dürfte der Exportnation Deutschland einen Schub geben. Auch in den USA läuft die Konjunktur wieder besser.
Bald dürften auch die Verbraucher die Konjunkturlokomotive wieder antreiben, nachdem sie sich im Weihnachtsgeschäft eher zurückgehalten hatten. „Die stetige Erholung am Arbeitsmarkt und bei der Verbraucherstimmung deuten auf eine Rückkehr zum Aufwärtstrend beim privaten Konsum hin“, betont Unicredit-Volkswirt Alexander Koch. Diese Tendenz dürfte durch anstehende Tariferhöhungen in Branchen wie der Metall- oder der Chemieindustrie weiteren Auftrieb erhalten.
Dass sich die Situation seit Jahresbeginn grundlegend verändert hat, begründet Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer vor allem mit einer Maßnahme der Europäischen Zentralbank: Die Geldschleusen zu öffnen und Banken gigantische Summen billigen Geldes anzubieten. „Vor allem die Banken aus den Peripherieländern haben diese sichere und günstige Finanzierung genutzt, um Anleihen ihrer Staaten zu kaufen.“ Die Finanzierungsbedingungen für Italien und Spanien hätten sich massiv verbessert, die von der Schuldenkrise ausgehende Unsicherheit sei deutlich gesunken. Auch die Börsen wurden förmlich beflügelt.
Auch das Vertrauen in die Politik, die Schuldenkrise lösen zu können, ist zuletzt wieder gewachsen. Erste Ökonomen sehen die Risiken aus dieser Krise bereits auf dem Rückzug. „Befürchtungen, dass die Eurozone in eine Abwärtsspirale aus schrumpfender Wirtschaftsleistung und zusätzlichen fiskalischen Sparmaßnahmen, die dann das Wachstum weiter schwächen, rutschen könnte, haben an Wahrscheinlichkeit verloren“, glaubt Stefan Schneider von der Deutschen Bank. Ohnehin haben die Märkte eine mögliche Griechenlandpleite längst eingepreist.
Überwunden ist die Krise aber noch lange nicht, glaubt Kater: „Das Vertrauen ist angeknackst, deshalb treffen alle negativen Schocks wie Ölpreisschocks oder Naturkatastrophen die fragile Erholung stärker als üblich.“