Analyse: Die Feinde im Inneren
Istanbul/Beirut (dpa) - Libanesen mit Einfluss haben in der Regel viele Feinde. Grund sind die vielen Gruppen in diesem Land, die in der Vergangenheit viele Kriege gegeneinander führten. Nach dem Terroranschlag in Beirut, bei dem der mächtige Geheimdienstfunktionär Wissam al-Hassan getötet wurde, sind vor allem die Sunniten in Aufruhr.
Denn Al-Hassan gehörte zu den sunnitischen Muslimen.
Mehrheitlich sunnitisch ist auch die Oppositionsbewegung 14. März von Saad Hariri. Er ist der Sohn des 2005 ebenfalls bei einem Anschlag getöteten Ministerpräsidenten Rafik Hariri. Ihr Feind ist Syrien - das Land, das sich einst als Schutzmacht aufgespielt hatte und dessen Soldaten nach dem Hariri-Attentat aus dem Libanon vertrieben wurden. Viele warfen Syrien damals eine Mittäterschaft vor. Für die Bewegung 14. März ist nun auch nach diesem Anschlag klar: die Verantwortlichen sitzen wieder einmal in Damaskus.
Und in der Tat spricht vieles dafür: Wissam al-Hassan stand nicht nur der Bewegung 14. März sehr nahe. Er soll jüngst auch ein Komplott aufgedeckt haben, dessen Ziel es war, syrienkritische Libanesen zu töten. Auch der Ort des Anschlags könnte ein Hinweis dafür sein: Nicht weit entfernt ist das Büro der 14.-März-Bewegung.
In der Straße ist aber auch noch ein Büro der christlichen Falangisten. Ein Abgeordneter dieser Partei, Nadim Gemajel, gibt im Telefonat mit einer libanesischen Zeitung ebenfalls Syrien die Schuld. Der Politiker ist Sohn von Baschir Gemajel, der 1982 zum libanesischen Präsidenten gewählt und kurze Zeit später ermordet wurde. Die Falangisten rächten sich mit einem Massaker an Tausenden Palästinensern in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila. Das ist nur ein Grund, weshalb auch diese Gruppe viele Feinde haben dürfte.
Auf der Seite von Syriens Regime stehen im Libanon wiederum andere christliche Gruppen sowie die schiitische Hisbollah, die die gegenwärtige Regierung mit ihrem Bündnis ins Amt gebracht hat. Einige ihrer Anhänger weisen darauf hin, dass Wissam al-Hassan nicht nur Syrien verärgert hat. Er habe vor drei Jahren auch ein libanesisches Netzwerk ausgehoben, das für Israel spioniert hat, sagen die Islamisten.
Um zu verstehen, warum bei den politischen Gruppierungen im Libanon die Religion so wichtig ist, muss man wissen, dass die Macht in dem Land nach einem Proporzsystem verteilt wird. Der Präsident ist immer maronitischer Christ, der Ministerpräsident Sunnit, der Parlamentspräsident Schiit. Vor allem die Schiiten finden das ungerecht, dürften sie doch inzwischen zahlenmäßig in der Mehrheit sein.
Die Hisbollah ist im Libanon derzeit zwar de facto an der Macht - doch sind die Schiiten geschwächt. Der Arabische Frühling hat vor allem den Sunniten in der Region Rückenwind gegeben und der wichtige Verbündete Baschar al-Assad kämpft ums Überleben. Das wollen jetzt auch die Sunniten im Libanon ausnutzen. Sie fordern jetzt einen Rücktritt der Regierung. Doch die sagt Nein - zumindest vorerst.
Dass die Schiiten überhaupt die Möglichkeit hatten, eine Regierung zu bestimmen, liegt an einem Bündnis mit einer weiteren religiösen Gruppe im Libanon: Den Drusen. Sie sind das Zünglein an der Waage in einem zutiefst gespaltenen Land. Die Progressiven Sozialisten des Drusen-Führers Walid Dschumblatt hatten noch 2011 den Hisbollah-Block unterstützt. Inzwischen nähern sie sich wieder der anti-syrischen Bewegung von Saad Hariri an.
Auch für Dschumblatt war unmittelbar nach dem Anschlag auf den Geheimdienstfunktionär klar: Schuld hat Syrien. Der Anhänger der im Libanon-Gebirge ansässigen einflussreichen islamischen Sekte gehört zu den schärfsten Kritikern des Assad-Regimes und gilt deswegen als besonders gefährdeter Mensch im Libanon. Wohl nicht ohne Grund: Auch sein Vater Kamal Dschumblatt soll vom syrischen Geheimdienst getötet worden sein.