Analyse: Die Negativbilanz der Merkel-Kritiker

Berlin (dpa) - Es ist die Stunde der Abrechnung, wenn der Bundestag über den Etat des Kanzleramts debattiert. Die Opposition geißelt schwarz-gelbes „Chaos“. Die FDP revanchiert sich mit „Hummer und Sichel“.

Nur FDP-Chef Philipp Rösler fand die Rede von Linksfraktionschef Gregor Gysi nicht witzig. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu seiner Linken und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zu seiner Rechten auf der Regierungsbank mussten über Gysis Analyse lachen, die Linke habe das Patentrezept zur Bewältigung der Schuldenkrise in Europa. Aber Rösler verzog keine Miene.

Gysi hatte ihm zuvor in der Aussprache über den Kanzleretat - die traditionelle Abrechnung der Opposition mit der Regierung - nahegelegt, er solle seine Ankündigung wahr machen und die FDP aus der Regierung abziehen. Denn Rösler habe mit seiner Partei dafür gebürgt, dass Schwarz-Gelb keine Eurobonds akzeptieren werde. Solche europäischen Staatsanleihen seien aber schon Wirklichkeit.

Warum? Darum: „Eurobonds bedeuten, dass man gemeinschaftlich für die Schulden haftet.“ Die Europäische Zentralbank habe für mehr als 100 Milliarden Euro Anleihen hoch verschuldeter Staaten wie Irland und Griechenland aufgekauft. So habe die EZB, die den Steuerzahlern gehöre, Staatsschulden übernommen. „Jetzt haften wir gemeinsam. (...) Damit haben wir die Eurobonds eingeführt. Entweder treten Sie heute aus der Regierung aus oder Sie hören mit dem Geschwätz auf“, rief der Eurobonds-Befürworter Gysi am Mittwoch in Röslers Richtung.

Westerwelle suchte zu seinem Parteifreund und Widersacher Rösler den größtmöglichen Abstand, den im Boden festgeschraubte Stühle so zulassen. Er lehnte sich weit hinüber zum Banknachbarn, Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Zu Rösler tat sich eine große Lücke auf.

Eurobonds werden kommen, auch wenn die Regierung solche Schuldscheine der Euro-Länder mit gleichen Zinssätzen noch so ablehne, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Erstens mache der geplante Euro-Rettungsschirm EFSF gemeinsame Anleihen möglich. Und zweitens werde in dieser Krise immer das Wirklichkeit, was Merkel zunächst blockiert habe - wie Hilfen für Griechenland, Euro-Rettungsschirm und europäische Wirtschaftsregierung.

Steinmeier warf Schwarz-Gelb „Fehlleistungen am Stück“ vor. Keine Regierung zuvor habe jemals eine so „katastrophale Halbzeitbilanz“ abgeliefert. Die Menschen hätten kaum noch Vertrauen in die Politik. Die Konjunktur sei nicht gut wegen dieser Regierung, sondern trotz dieser Regierung. Und die Arbeitslosenquote sinke, weil die SPD in ihrer Regierung den Grundstein dafür gelegt habe. „Sie ernten doch in Wahrheit die Früchte dessen, was Sie nie gesät haben.“

Steinmeier vermied in seiner Rede aber anders als sonst, Merkel an diesem Tag persönlich beim Namen zu nennen. Bevor er überhaupt als erster Redner in dieser Debatte zum Thema sprach, drückte er der Kanzlerin tiefes Mitgefühl für den Tod ihres Vaters aus.

Schwarz gekleidet kam Merkel ins Parlament. Konzentriert, um emotionalen Einsatz für Europa bemüht, äußerte sie Verständnis für die Beunruhigung der Menschen über die Finanzkrise. „Es zeigt sich in unglaublicher Schärfe, dass die Probleme eines Landes die ganze Währung in Gefahr bringen.“ Und: „Wer an irgendeiner Stelle einen Faden kappt, kann das ganze Netz zum Einsturz bringen.“ Sie mahnte aber: „Der Euro ist viel, viel mehr als eine Währung. Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Der Euro werde aber nicht scheitern. Die Inflationsrate sei geringer als in den letzten zehn Jahren der D-Mark.

Merkel hielt ihren Kritikern entgegen, dass ihre Regierung vor allem wegen der internationalen Finanzkrise in den ersten zwei Jahren ein schärferes Arbeitsprogramm zu bewältigen gehabt habe, als andere Regierungen in einer ganzen Legislaturperiode leisten müssten. Deutschland sei stärker aus dieser Krise herausgekommen als hineingegangen. Damit sei ein zentrales Wahlversprechen erfüllt.

Es war kein schlechter Tag für Merkel. Das Bundesverfassungsgericht stützte ihren Kurs in der Schuldenkrise. Die Richter billigten die ersten Rettungspakete für Griechenland und den Euro. Und ihre Vorgaben für eine bessere Beteiligung des Bundestags an den Entscheidungen haben Union und FDP schon selbst vorgeschlagen.

Die Linke bekam von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle übrigens noch eine Retourkutsche. Gysi warf er wegen der Forderung nach Eurobonds „Zinssozialismus“ vor. Deutschland würde zum Zahlmeister in Europa. Dem Führungsduo der Linken, dem lebenslustigen Klaus Ernst und der bisweilen scharf links formulierenden Gesine Lötzsch, drückte er den Stempel „Hummer und Sichel“ auf. Gysi bemühte sich, keine Miene zu verziehen. Er musste aber lachen.