Analyse: Dresdner Depression der FDP
Berlin (dpa) - Der Absturz geht weiter: Die FDP verliert in Sachsen alles. Während die neue Konkurrenz von der AfD triumphiert, wird es für Parteichef Lindner noch schwieriger, seinen frustrierten Laden bis 2017 zusammenzuhalten.
Auch das noch. Einer der ersten, den Christian Lindner in der überschaubaren Menge sieht, ist Dirk Niebel. Der zieht, lässig mit Rotweinglas in der Hand, im Thomas-Dehler-Haus viele Blicke auf sich. Lindner, von der Bühne kommend, biegt rechtzeitig ab.
Der junge Parteichef und der Ex-Entwicklungsminister, der bald nicht mehr Brunnen, sondern als Rüstungslobbyist Panzer in die Dritte Welt bringt, sie sind sich spinnefeind. Die Intrigen von einst - viele werden Niebel zugeschrieben - sind ein Grund für den dramatischen Absturz der Liberalen heute.
Der geht am Sonntag in Sachsen ungebremst weiter. Laut Hochrechnungen holt die FDP nur um die vier Prozent, 2009 waren es zehn. Sie verliert ihre letzten Ministerposten auf Landesebene, fliegt als Regierungspartei direkt aus dem Parlament. Das passierte in Bayern, bei der Bundestagswahl und nun in Dresden. Wieder bricht ein großer Apparat weg.
Der sächsische FDP-Chef Holger Zastrow setzte im Wahlkampf auf maximale Abgrenzung zur Bundespartei („Sachsen ist nicht Berlin“). Er ist gescheitert: „Begreift ihr das? Ich nicht“, ruft der störrische Zastrow am Abend in Dresden seinen Anhängern zu.
Ein paar Minuten später ist Lindner in der Hauptstadt dran. Er dankt jenen Wählern, die mit ihrem Kreuz für die FDP ein Zeichen der „inneren Unabhängigkeit“ gesetzt hätten. Es muss schwer zu ertragen sein für Hans-Dietrich Genschers Partei, dass zeitgleich die NPD noch Chancen auf den Verbleib im Dresdner Landtag hat.
Dann aber nutzt der 35-Jährige Lindner die Niederlage, um seinen Gegnern die Leviten zu lesen. Die Freunde um Zastrow hätten ja versucht, mit einem „sächsischen Weg“ Erfolg zu haben. Doch auf eigene Faust könne niemand, in keinem Landesverband es schaffen, das seit 2009 verlorene Vertrauen wiederherzustellen.
„Das kann nicht einer allein“, lautet Lindners Botschaft an die Partei, nur zusammen könne die FDP wieder zu einer starken bürgerlichen Kraft werden. Wichtiges Etappenziel: Die Hamburg-Wahl im nächsten Februar, wo die FDP von einer Koalition mit der SPD träumt.
Gefährlich ist der AfD-Erfolg. Nach ARD-Analyse verlor die FDP an die Alternative für Deutschland 18 000 Stimmen, nur die CDU gab mehr an die Rechtskonservativen ab. Wenn die Protestpartei AfD sich nicht wie die Piraten durch Unfähigkeit entzaubert, könnte sie den schleichenden Tod der FDP durchaus beschleunigen.
Dazu kommt, dass die Machtperspektive Schwarz-Gelb nur ein Jahr nach der Bundestagswahl mausetot erscheint. Vor vier Jahren gab es noch acht schwarz-gelbe Bündnisse - und jetzt: null. Unionsleute in Berlin schwärmen von Schwarz-Grün und reden über Liberale, als seien sie Gestalten aus dem Geschichtsbuch. So gönnte auch die Sachsen-CDU ihrem Partner FDP keine Zweitstimme.
Das sind keine guten Aussichten für die nächsten Wahlen in Brandenburg und Thüringen. Gehen auch die verloren, wären die Freidemokraten nur noch in sechs Landtagen.
Und was wird aus Lindner, der leidenschaftlich für die Trendwende kämpft? Einen Putsch muss er nicht fürchten. Auf Dauer aber lassen sich die Ehrenamtler von der Basis wohl kaum am FDP-Stand beschimpfen, wenn es keine Aussicht auf Erfolg gibt. Aus Hamburg kam am Wochenende die Kunde, dass ein paar Liberale eine neue Partei gründen wollen. Das sind Splittergruppen - was aber, wenn die Fliehkräfte größer werden?