Analyse: Drohungen und Bitten der EU an Moskau
Brüssel (dpa) - Die Europäische Union verschärft den Ton gegenüber Russland. Falls Moskau die Truppen nicht zurückzieht, drohen Sanktionen. Aber zugleich bittet die EU den russischen Präsidenten Wladimir Putin nachdrücklich, zu Verhandlungen mit der Ukraine bereit zu sein.
Denn die Außenminister der 28 EU-Staaten wollten am Montag bei einer Krisensitzung zur Ukraine beides: Einerseits Entschlossenheit zeigen, andererseits eine politische Lösung anstoßen.
In scharfer Form und nachdrücklich verurteilten sie die russische Militäraktion in der Ukraine und besonders auf der überwiegend von Russen bewohnten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Falls Moskau nicht bis zum EU-Sondergipfel am Donnerstag Zeichen der Deeskalation gebe, so könnten schon dann Sanktionen beschlossen werden. Aber sie forderten Putin auch auf, mit der Ukraine, der EU, der OSZE und anderen zu reden.
„Das Risiko, das wir jetzt schon sehen, besteht darin, dass in dieser zugespitzten Situation irgendjemand schlicht und einfach die Nerven verliert - gar nicht aufgrund einer politischen Entscheidung - und sich die Dinge dann fast eigenständig entwickeln“, sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach den Beratungen. „Das müssen wir verhindern mit den Möglichkeiten, die wir haben.“
Dass zu Beginn der Ministerberatungen in einem Erklärungsentwurf noch viele eckige Klammern zu finden waren, mit denen strittige Formulierungen gekennzeichnet werden, lag an den unterschiedlichen Interessen und Erfahrungen, die die gemeinsame Außenpolitik der EU schon immer und immer noch mühsam machen. Auf der einen Seite die östlichen Staaten wie Polen, Tschechien und Ungarn sowie die baltischen Staaten, die allesamt ihre ganz eigenen Erfahrungen mit der Sowjetunion haben: Bei ihrer Forderung nach einer harten Haltung gegenüber Russland wurden sie auch von Schweden unterstützt, das sich den Ostseenachbarn verbunden fühlt.
Auf der anderen Seite die westlicher gelegenen Staaten wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien - auch sie verurteilen zwar Russlands Vorgehen in der Ukraine. Aber sie sind überzeugt, dass die EU eine Lösung mit Drohungen und Sanktionen nicht erzwingen kann. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn machte deutlich, dass es nicht nur um Recht und Moral in der Politik gehen kann. „Wir müssen verurteilen, was geschehen ist“, sagte er. „Wir wissen aber auch, dass 25 Prozent der Energie in der EU aus Russland kommen. Wir wissen auch, dass die wirtschaftliche Beziehungen zwischen Russland und der EU extrem hoch anzusiedeln sind.“
Das Dilemma der EU liegt in der Tat darin, dass dem politischen Muskelspiel gegenüber Russland durch gegenseitige Abhängigkeiten Grenzen gesetzt sind. Die EU wäre beispielsweise vermutlich eher früher als später auf Russland angewiesen, wenn es im UN-Sicherheitsrat wieder einmal um Syrien oder den Iran geht. Schon der russische Einmarsch nach Georgien vom August 2008 hatte gezeigt, dass die Angst Wladimir Putins vor EU-Sanktionen begrenzt ist.
„Politikfähig“ müsse man bleiben, mahnte Steinmeier. Das sieht nicht nur er so. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz befand ebenfalls: „Ich bin der Meinung, dass wir jetzt dem Dialog noch eine Chance geben sollten.“ Für einen Dialog mit Russland plädierte auch Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, seit der gemeinsamen Ukraine-Vermittlungsmission eine Art außenpolitischer Blutsbruder Steinmeiers. Die Idee ist, Russland und die Ukraine mit anderen internationalen Partnern in eine Kontaktgruppe einzubinden und auf diese Weise den Dialog am Laufen zu halten.
Unmittelbar nach dem Beschluss mit der Sanktionsdrohung machte sich Steinmeier von Brüssel aus auf den Weg nach Genf. Dort wollte er mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und dem schweizerischen Präsidenten der OSZE, Didier Burkhalter, sprechen - über eine Erkundungsmission der OSZE in der Ukraine und über eine Kontaktgruppe.