Analyse: Erdogan erwägt Rückkehr zur Todesstrafe
Berlin (dpa) - Am frühen Morgen des 25. Oktober 1984 wurde im Gefängnis von Burdur, im Südwesten der Türkei, ein junger Mann zum Galgen geführt: Hidir Aslan, 26 Jahre alt, Mitglied einer linken Gruppierung, seit viereinhalb Jahren in Haft.
Wegen der Ermordung von drei Polizisten während des Militärputsches von 1980 hatte ihn die Justiz zum Tode verurteilt. Es war die letzte von mehr als 400 Hinrichtungen seit der Gründung der Türkei. Bislang jedenfalls.
Nach dem gescheiterten Putschversuch denkt Präsident Recep Tayyip Erdogan jetzt über die Wiedereinführung der Todesstrafe nach. Keineswegs zum ersten Mal: In den vergangenen Jahren hatte der islamisch-konservative Politiker mehrmals schon darüber spekuliert. Erdogan verwies dann gern auf die vermeintliche Meinung des Volkes sowie auf Länder wie China, Japan oder die USA, die weiter hinrichten lassen.
Dabei ist die Todesstrafe in der TÜRKEI eigentlich schon seit mehr als einem Jahrzehnt abgeschafft. Auf diese Weise sollte damals der Weg in die Europäische Union freigemacht werden. Und am Montag ließ Kanzlerin Angela Merkel in Berlin sofort auch klarstellen: Falls die Türkei tatsächlich wieder Hinrichtungen zulassen sollte, ist in der EU definitiv kein Platz für sie - unabhängig von allen anderen Schwierigkeiten, die es bei den Beitrittsverhandlungen gibt.
In Europa lässt derzeit nur noch ein einziges Land Menschen von Staats wegen töten: die ehemalige Sowjetrepublik WEISSRUSSLAND, regiert von Alexander Lukaschenko, oft auch „letzter Diktator Europas“ genannt. Die genauen Zahlen gelten als Staatsgeheimnis. Nach Angaben von Amnesty International wurde aber erst im April im Wolodarka-Gefängnis von Minsk ein 21-jähriger Raubmörder gehenkt.
Mehr als die Hälfte der Staaten der Welt verzichtet inzwischen auf die Todesstrafe: 102 von 193 Mitgliedsländern der Vereinten Nationen. Weltweit wurden nach dem jüngsten Amnesty-Bericht im vergangenen Jahr aber immer noch mindestens 1634 Todesurteile vollstreckt. Vermutlich waren es sogar mehr als doppelt so viele.
Das liegt daran, dass der „Top-Henker der Welt“ (Amnesty) die genaue Zahl der Hinrichtungen ebenfalls als Staatsgeheimnis behandelt: die VOLKSREPUBLIK CHINA. Amnesty vermutet, dass China mehr Menschen hinrichten lässt als der gesamte Rest der Welt zusammen. Andere Menschenrechtler gehen von schätzungsweise 2400 Exekutionen aus. Weltweit würde dies dann mehr als 4000 Hinrichtungen bedeuten.
Auf Platz zwei lag im vergangene Jahr der IRAN. Dort gab es mindestens 977 Exekutionen, die meisten davon wegen Drogendelikten. SAUDI-ARABIEN ließ mindestens 158 Menschen exekutieren - so viele wie seit 1995 nicht mehr. Dort gibt es noch öffentliche Enthauptungen, und Leichen werden auch heute noch öffentlich ausgestellt.
Von den großen Industrienationen ließen die USA (28) und JAPAN (3) noch exekutieren. Zu den insgesamt 25 „Henkerstaaten“ gehörten auch PAKISTAN, INDIEN, der IRAK, ÄGYPTEN, AFGHANISTAN und NORDKOREA. Pakistan hatte bereits den Verzicht auf die Hinrichtungen von Zivilisten verkündet, hob dies nach einem Terrorangriff auf eine Schule aber wieder auf. Dass ein Staat die Todesstrafe abschafft und dann wieder einführt, wäre dann aber doch die große Ausnahme.
In DEUTSCHLAND liegt die letzte Exekution übrigens fast genau so lang zurück wie in der Türkei: Im Juni 1981 ließ die DDR den Stasi-Hauptmann Werner Teske wegen „Hochverrats“ hinrichten. Die Bundesrepublik hatte im Grundgesetz von 1949 gleich zu Beginn auf die Todesstrafe verzichtet. In Artikel 102 heißt es ganz knapp: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“