Analyse: Ernüchterung in Lima

Lima (dpa) - Manuel Pulgar-Vidal hat lange auf seinen Pisco Sour warten müssen. Eigentlich wollte Perus Umweltminister als Konferenzchef schon Freitagabend einen Traubenschnaps-Cocktail auf das Ende dieses 20. UN-Klimagipfels in Lima trinken.

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Dann lief Pulgar-Vidal ein heftiger Konflikt zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern fast aus dem Ruder. Erst am Sonntagmorgen um 1.25 Uhr Ortszeit konnte er den Hammer fallen lassen: Er ließ einfach keine Einwände mehr gegen den Beschluss zu. Zurückhaltender Applaus ist zu hören, zumindest ist ein Scheitern des Gipfel abgewendet.

Es ist ein Minimal-Kompromiss mit ersten Leitplanken für den bis Ende 2015 in Paris geplanten Weltklimavertrag. Bis März müssen die meisten Staaten ihre Minderungsziele dafür übermitteln. Aber sie können das Ausmaß praktisch selbst bestimmen und müssen nicht sagen, wie sie das Ziel erreichen wollen. Ob ein ambitioniertes Paris-Protokoll so klappt? Fraglich. Zumal auf Druck Chinas der Passus rausflog, dass es verbindliche Überprüfungen geben soll. Und dieser erste globale Vertrag soll ohnehin erst ab 2020 gelten.

Rückblick, 12 Stunden zuvor: Der Vertreter aus Malaysia hat keine Lust mehr auf diese Verhandlungen. „Eigentlich wollte ich heute nach Cusco fliegen“, erzählt er im Plenum mit Vertretern aus 195 Staaten. Gemeint ist die Inka-Ruinenstadt Machu Picchu. Nun befinde er sich hier im Raum Cusco - so heißt der Zeltsaal auf dem Tagungsgelände in Lima. Jetzt sei der Flieger futsch. Und er müsse 26 Stunden mit dem Bus dahin fahren, wenn denn mal alles vorbei sei. Dann kommt er zum Kern seines Anliegens. Er lehnt mit harscher Kritik ein von der EU und den USA gutgeheißenes Papier ab. Dutzende Staaten bis hin zu China tun es ihm gleich.

Der Vertreter des Sudans macht im Namen der afrikanischen Staaten klar, dass der bisherige Entwurf nichts tauge und wird gefeiert. Es gibt eine feindselige Stimmung, nichts ist mehr zu spüren von der Aufbruchstimmung nach dem Schulterschluss Chinas und der USA, mehr zu tun.

Bei Koalitionsverhandlungen müssen sich zwei oder drei Parteien einigen, hier 195 Staaten. Daher müssen Blockierer im „Beichtstuhlverfahren“ stundenlang von Pulgar-Vidal und anderen bekniet und neue Abschlussentwürfe geschrieben werden.

Die Industriestaaten wie Deutschland wollen die sogenannte Brandmauer („Firewall“) in der bisherigen Klimaarchitektur bis Paris einreißen: Sie hat zur Folge, dass aufstrebende Länder wie China und Indien bislang kaum etwas für den Klimaschutz tun müssen.

Im geplanten Weltklimavertrag soll es daher keine schematische Unterscheidung mehr zwischen Entwicklungs- und Industrieländern geben. Immerhin stoßen Entwicklungs- und Schwellenländer inzwischen etwa genauso viel CO2 aus wie die reichen Staaten. Allein China verursacht heute 27 Prozent der globalen Kohledioxid-Ausstöße. Es geht um eine faire Lastenverteilung zur Begrenzung der Erderwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius.

Den Entwicklungsländern geht es auch um Geld, nach dem Motto: Milliardenhilfen gegen eigene CO2-Minderungszusagen. Fragwürdig ist, dass sich China zur G77-Gruppe der Entwicklungsländer zählt. Das Kalkül: zu starke internationale Verpflichtungen vermeiden. China will erst ab 2030 mit einer Minderung seiner Emissionen beginnen. Das ist objektiv viel zu wenig.

Der Dissens von Lima ist ein schlechtes Omen. Eigentlich sollte hier ein gutes Gerüst erstellt werden für den geplanten Klimavertrag. Pulgar-Vidal musste vieles aufweichen.

Es ist noch Wichtiges offen. Für welchen Zeitraum und für welche Treibhausgase sollen die Staaten Minderungsziele aufstellen? Welche Staaten bekommen wie viel Geld für die Anpassung an den Klimawandel, etwa für Deiche oder zum Ausbau von Solar- und Windenergie? Bisher haben vor allem die Industriestaaten immerhin zehn Milliarden US-Dollar in einen grünen Klimafonds eingezahlt.

Für Deutschland verhandelte nach der vorzeitigen Abreise von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) Staatssekretär Jochen Flasbarth. Sie verpasste Anschauungsunterricht, welche Gräben und Kniffe es bei Klimaschlussverhandlungen gibt. Ihren Flug wollte sie nicht verschieben. Grünen-Chefin Simone Peter nennt die Abreise „kein Ruhmesblatt für die deutsche Klimapolitik“. Stefan Krug von Greenpeace findet es „verwunderlich“, wo sie doch den Kampf gegen die Erderwärmung zu ihrem großen Thema machen wolle.

Flasbarth vertritt sie gebührlich: tief drin in der Materie, gut vernetzt, beharrlich um Lösungen ringend. Er bilanziert nach Pulgar-Vidals Hammerschlag mit Blick auf Paris: „Das gibt uns einen Vorgeschmack darauf, dass uns da kein Spaziergang bevorsteht.“ Trotz der ganzen Aufweichungen sei er nicht entäuscht, meint Flasbarth. „Aber ich bin erschöpft.“