Analyse: FDP-Chef Rösler erkauft sich Zeit
Berlin (dpa) - In seinen beiden Jahren als FDP-Chef hat Philipp Rösler schon einige „doofe Abende“ erlebt. Irgendwie wusste man das schon, aber auf dem Parteitag in Berlin gab es der FDP-Chef zum ersten Mal auch ganz offen mit diesen klaren Worten zu.
So richtig schön wurde das Wochenende dann allerdings auch nicht: Zwar bekam der Vizekanzler nach seinem Geständnis von der Partei eine zweite Chance, aber hinter den Kulissen knirscht es weiter. Das zeigte sich in teils spektakulären Kampfabstimmungen, die zur offenen Abrechnung gerieten.
Rösler hielt seine vielleicht beste Rede. Dennoch fehlt dem 40-Jährigen die Autorität, ein Führungsteam nach seinen Wünschen durchzudrücken. Auch Zweifel an der Doppelspitze mit Rainer Brüderle, der nun offiziell FDP-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl am 22. September ist, bleiben angebracht.
Die „Krönungsmesse“ am Sonntag war ziemlich fad - was nicht nur an der lieblosen Inszenierung in der Veranstaltungshalle des Neuköllner Hotels „Estrel“, sondern auch an der Rede des 67-Jährigen lag. „Ich bin und bleibe Rainer Brüderle“, versicherte der Pfälzer den mehr als 600 Delegierten. Aber nach dem verlorenen Machtkampf mit Rösler und der Sexismus-Debatte sucht er noch nach Trittsicherheit.
So versuchte es der Fraktionschef mit einer Mischung aus Staatsmann und Blutgrätscher. Letzteres liegt ihm mehr. Doch wollte es Brüderle, der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück als „Fettnapf-Suchmaschine“ aufs Korn nahm, wohl nicht übertreiben. Groß ist die Sorge, wieder als „Büttenredner“ einsortiert zu werden.
Rösler hingegen ist erstarkt, das Selbstbewusstsein zurück. Kein Wunder, nach 9,9 Prozent bei der Landtagswahl zuhause in Niedersachsen. Seine Botschaft: Im Bund kann man das auch packen, trotz der anhaltend deprimierenden Werte von weniger als 5 Prozent. Die Delegierten spendierten ihm für den Auftritt 85,7 Prozent. Ein guter Wert für jemanden, der vor ein paar Wochen abgesägt werden sollte. Auch waren die Antennen des Parteivolks sensibel genug, seinem Rivalen Christian Lindner mit 77,8 Prozent ein deutlich schlechteres Resultat zu verpassen.
„Es gab manchmal echt doofe Abende“, gestand Rösler. „Es waren Abende, wo man sich auch grundsätzliche Fragen gestellt hat.“ Also auch Rücktritt - was unausgesprochen blieb, aber jeder verstanden haben dürfte. Solche Debatten liegen nun vorerst hinter ihm - bis zum Wahltag in einem halben Jahr dürfte er Ruhe haben.
Befriedet ist die FDP indes nicht. Die Gräben zwischen einzelnen Landesverbänden sind eher noch tiefer geworden. Der Karriereknick für den gescheiterten „Königsmörder“ Dirk Niebel war eingepreist. Rösler wollte aber Birgit Homburger als Vize behalten, damit das liberale Stammland Baden-Württemberg gut bedacht ist. Das ging grandios schief - Homburger verlor das Duell gegen Holger Zastrow mit 315:323 und wurde auf den dritten Beisitzerposten im Präsidium durchgereicht. Dort wollte Rösler eigentlich den unbequemen Sachsen Holger Zastrow platzieren. Eine Rebellion der Ost-Verbände machte einen Strich durch diese Rechnung.
Dass Daniel Bahr beim „lustigen Ministerversenken“, wie Niebel es beschrieb, die Tür zum Präsidium zugeschlagen wurde, müssen sich Rösler und NRW-Chef Christian Lindner ankreiden lassen. Zu den Risiken und Nebenwirkungen dieses Patzers gehört, dass Rösler jetzt mit seinem Dauerkritiker Wolfgang Kubicki in der Spitze leben muss.
Der Kieler belebte den Parteitag mit einem charmant-frechen Auftritt. Mit dem neu hinzugewonnen Posten will er dafür sorgen, dass die Rösler-FDP nicht nur „säuselt“, sondern auch Klartext redet. Überzeugungsarbeit nach innen muss Rösler noch bei Mindestlöhnen und Steuern leisten. Viele Liberale fürchten, dass der Partei eine Anbiederung an Zeitgeist und politische Gegner nicht gut bekommen wird. Allen ist klar: Abgerechnet wird am 22. September.