Analyse: FDP - „Intrigantenstadl“ im Schockzustand
Berlin (dpa) - Wolfgang Kubicki bringt es gewohnt drastisch auf den Punkt: Die FDP habe momentan „generell verschissen“, sagt der Fraktionschef in Kiel zum 2,7-Prozent-Desaster der Liberalen in Mecklenburg-Vorpommern.
Und wer hat Schuld?
Kubicki setzt noch eins drauf, indem er indirekt seinen jungen Parteichef in die Schusslinie rückt. Für welche Position denn Philipp Rösler stehe, wird Kubicki von der „Leipziger Volkszeitung“ gefragt: „Auf diese Frage kann ich keine vernünftige Antwort geben.“
Kubicki ist für seine schonungslosen Analysen bekannt. Seine Popularität in Schleswig-Holstein beruht auch auf ständigen Angriffen gegen die Parteiführung in Berlin. Im Mai kommenden Jahres muss Kubicki fürchten, dass er aus Regierung und Kieler Landtag fliegt. Gefährlich für Rösler aber ist, dass Kubicki nicht alleine steht. Die in der vergangenen Woche öffentlich aufgeführte Selbstzerfleischung der Partei mit der Libyen-Rücktrittsdebatte um Außenminister Guido Westerwelle empfinden viele Liberale als strategische Fehlzündung.
Am Sonntagabend auf der Wahlparty im Berliner Dehler-Haus konnte man eindeutige, noch anonyme Kommentare einfangen: „Intrigantenstadl“, „dumm“, „selber schuld“. Die Demontage des einstigen Chefs und 2009-Rekordsiegers Westerwelle kommt nicht gut an. „Wer wählt eine Partei, die so mies mit den eigenen Leuten umgeht?“, meinte ein Vorstandsmitglied. Eine andere Führungskraft berichtete am Montag von „nachdenklichen“ Sitzungen der FDP-Spitze. „Allen ist klar, wir sind an der Schicksalsgrenze.“
Rösler, der sich am Mittag im grauen Anzug mit rosa-blau gestreifter Krawatte der Hauptstadtpresse stellt, räumt ein, dass der Fall Westerwelle der FDP bei der Wahl im Nordosten geschadet habe. Seine eigene Rolle dabei will er nicht näher erläutern. Lieber schaut der junge Vizekanzler nach vorne - und redet ein bisschen wie Fraktionschef Rainer Brüderle, den er im Mai gegen dessen Willen aus dem Wirtschaftsministerium verdrängt hatte.
Mit „Brot-und-Butter“-Themen wolle er die Partei aus der Krise führen, sagt Rösler. Auch Generalsekretär Christian Lindner hatte am Wahlabend unter diesem Label als Kernfelder Euro, Wirtschaft und Arbeitsplätze aufgezählt. Dabei hat auf „Brot und Butter“ in der FDP der 66-jährige Brüderle eigentlich das Copyright.
Brüderles Eintreten für Markenkern und „FDP pur“ war im Frühjahr von der „Boygroup“ um Rösler, Lindner und NRW-Chef Daniel Bahr noch als altmodisch eher belächelt worden. Nun scheint nach vier Monaten die Erkenntnis zu reifen, dass die FDP nur überleben kann, wenn sie ihre Stammwählerschaft in der Wirtschaft wieder erreicht - die erfolgreichen Mittelständler und Selbstständigen. Ebenfalls interessant: Steuersenkungen erwähnt Rösler jetzt erst auf Nachfrage.
Niemand in der Parteispitze macht sich jetzt Illusionen darüber, dass Schwerin ein düsteres Omen für die Berlin-Wahl in zwei Wochen ist. Die Angst geht um, dass das Ergebnis hier noch schlechter ausfällt. Und dass die FDP hinter der Piratenpartei ins Ziel kommt.
Angesichts der verheerenden Umfragen und Wahlresultate könnte auf Bundesebene irgendwann die Option ins Spiel kommen, dass die FDP ihr Heil in einem spektakulären Befreiungsschlag sucht.
Einzelne FDP-Leute sollen schon das Szenario durchgespielt haben, die Koalition mit der Union in der Euro-Schuldenkrise oder in der Steuerfrage platzen zu lassen. Bei Neuwahlen, so das Kalkül, könnte die FDP dann als „Protest-und-Steuerzahler-Partei“ klar über fünf Prozent kommen.
Die Satire-Profis der NDR-Sendung „Extra3“ sehen indes schwarz für die Liberalen. Sie drückten am Sonntagabend auf der Wahlparty Interviewpartnern gefälschte FDP-Aufkleber mit dem Slogan „Wir geben auf“ in die Hand.