Analyse: FDP plant schon ohne Westerwelle
Berlin (dpa) - Die Signale bleiben widersprüchlich. Halboffiziell wird in Guido Westerwelles Umfeld versichert, nichts sei entschieden. Der FDP-Chef werde keineswegs freiwillig für Jüngere seinen Platz räumen.
Und schon gar nicht für Ältere.
Manches weist aber in eine ganz andere Richtung. Mitunter klingt es so, als ob der Vorsitzende nach zehn Jahren an der FDP-Spitze nun zum Rückzug bereit ist. In kleiner Runde vermittelt der Außenminister gern den Eindruck, er könne sich mit 49 Jahren auch noch ein Leben außerhalb der Politik vorstellen.
Auf seiner Fernost-Tour hatte Westerwelle trotz des strammen Pensums wohl auch Gelegenheit, über die Kunst des richtigen Abgangs nachzudenken. Während sich zu Hause in den eigenen Reihen ein Aufstand formierte, schwieg er in Peking und Tokio dazu. „Ich werde bestimmt nicht auf einer Auslandsreise in Japan zur Parteipolitik in Deutschland Stellung beziehen“, erklärte er.
Doch diese Ausrede gilt jetzt nicht mehr. Seit Sonntagmorgen um 5.50 Uhr ist Westerwelle wieder in Berlin. Er hat in den vergangenen Tagen mit etlichen Parteifreunden telefoniert. Welche Schlüsse er daraus gezogen hat, behielt er vorerst für sich.
Eigentlich rechnet niemand mehr damit, dass Westerwelle sich als Parteichef halten kann. Er dürfte mittlerweile sogar Probleme haben, seine anderen Ämter zu verteidigen. Die Welle der Kritik aus der FDP hat inzwischen eine Wucht erreicht, die ihn auch als Außenminister und Vize-Kanzler hinwegspülen könnte.
Ob es an diesem Montag zum großen Showdown in der FDP-Spitze kommt oder doch eine gesichtswahrende Lösung präsentiert wird, war am Sonntag noch unklar. Jedenfalls dürfte es bei der Sitzung ans Eingemachte gehen. Ansonsten droht eine Palastrevolution.
Der Parteichef wird bedrängt, sich offiziell zu erklären. Am Sonntag hieß es, Westerwelle wolle aber nicht einfach klein beigeben. Er wolle seine letzte Entscheidung über einen offenen Kampf um den FDP-Vorsitz von einer Gesamtlösung abhängig machen. Darüber solle weiter gesprochen werden. Damit droht aber eine weitere Hängepartie.
Das Präsidium, das am Montag zusammenkommt, hat eigentlich kaum mehr richtige Autorität. Mindestens drei der neun Mitglieder des obersten FDP-Führungszirkels haben bereits ihren Rückzug angekündigt. Andere wie Westerwelle und Rainer Brüderle sind angeschlagen.
Generalsekretär Christian Lindner (32) und Gesundheitsminister Philipp Rösler (38) stehen im Prinzip bereit, Westerwelle zu beerben. Beide wollen aber Kampfkandidaturen vermeiden. Dafür hält sich Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger notfalls bereit.
Die bayerische Landeschefin hat eine treibende Rolle in der FDP-Führungskrise übernommen. Ihr wird auch zugetraut, dass sie - wenn auch wohl aussichtslos - für den Vorsitz antritt, um die zögernden FDP-Jungspunde zum Jagen zu tragen.
Lindner oder Rösler also? Vieles spricht dafür, dass beide eine Tandem-Lösung im Blick haben. Der neue Chef müsste schließlich alle Parteiflügel - von den Links- bis zu den Marktliberalen - hinter sich scharen.
Lindner werden bessere Chancen beim Wirtschaftsflügel eingeräumt, hinter dem in der Bundestagsfraktion bis zu 40 der 93 Abgeordneten stehen. Alle personellen Veränderungen in der Bundesregierung müssen in der FDP in geheimer Abstimmung von der Fraktion gebilligt werden, können also nicht einfach von der Parteispitze dekretiert werden.
Darauf setzt auch Brüderle für den Fall, dass Rösler als neuer FDP-Chef seinen Posten als Wirtschaftsminister beanspruchen würde, um das undankbare Gesundheitsressort los zu werden. Trotz der krachenden FDP-Niederlage in Rheinland-Pfalz gilt Brüderle immer noch als Pluspunkt in der schwarz-gelben Koalition.
Rösler ist in der FDP nach wie vor sehr beliebt. Nur vom Wirtschaftsflügel wurde er zeitweise attackiert, weil er bei der Gesundheitsreform zuweilen den Pfad der reinen liberalen Lehre verlassen hat. Er wäre - stärker noch als Lindner - ein Signal für die Öffnung der Partei zu neuen Koalitionsoptionen.
Doch zunächst geht es darum: Wie entscheidet sich Westerwelle? Lässt er es auf einen offenen Kampf um den Parteivorsitz ankommen, so läuft er Gefahr, mit einiger Sicherheit auch sein Ministeramt zu verlieren. Bei einer „freundlichen Übergabe“ des Parteiamts könnte er wahrscheinlich bis auf weiteres das Auswärtige Amt für sich retten.