Analyse: Frostige Zeiten zwischen Wien und Berlin
Wien/Berlin (dpa) - Es ist noch nicht lange her, dass in Österreich ein Witz die Runde machte: „Wenn Kanzler Werner Faymann zu Angela Merkel kommt, dann sagt die deutsche Regierungschefin: Er kommt mit keiner Meinung rein und geht mit meiner Meinung wieder raus.“ Der Witz, sollte er je den Tatsachen entsprochen haben, ist nicht mehr aktuell.
Denn Österreich hat sich in der Flüchtlingspolitik vom „großen Nachbarn“ gelöst, vertritt eine eigene Strategie und verbittet sich jede Einmischung. Die Folge: das deutsch-österreichische Verhältnis ist angespannt wie selten in jüngerer Zeit.
Begonnen hat das schon im September 2015, als die deutschen Grenzschützer wie in alten Tagen plötzlich wieder Ausweise kontrollierten. Im Oktober 2015 war der Ton dann schon ziemlich rau: „Das Verhalten Österreichs ist nicht in Ordnung, sagte damals Innenminister Thomas de Maizière (CDU), weil „ohne jede Vorwarnung“ Flüchtlinge nach Deutschland weitergeleitet würden.
Vorläufiger Höhepunkt der Feindseligkeiten: Unmittelbar vor dem EU-Gipfel vergangene Woche kündigte Österreich eine Obergrenze von 80 Flüchtlingen pro Tag an. Und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner aus Merkels Schwesterpartei ÖVP kündigte das informelle Bündnis mit Deutschland auf. „Es kann jeder ableiten, dass die Koalition der Willigen in der Form offensichtlich nicht mehr besteht“ sagte er.
Dass nun an diesem Mittwoch in Wien die österreichische Regierung mit den Staaten des Westbalkans verhandelte, stieß in Berlin auf wenig Begeisterung. „Ich hätte es begrüßt, wenn es zu einer gemeinsamen Konferenz mit Deutschland und Österreich gekommen wäre“, sagte Gunther Krichbaum (CDU), der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag. „So leistet Österreich nationalen Lösungen Vorschub.“
Die Entfremdung zwischen Wien und Berlin war nach Ansicht des Wiener Politikberaters Thomas Hofer absehbar. „Die Achse Merkel-Faymann hat so nie wirklich getragen. Es war klar, dass über kurz oder lang eine Wende kommen muss.“
Die Wende hat in Österreich, das 2015 pro Kopf der Bevölkerung mehr Asylbewerber zu verkraften hatte als Deutschland, nicht zuletzt innenpolitische Gründe. Das gelte vor allem mit Blick auf die rechte FPÖ, sagt Hofer. Die Rechtspartei, die das Ausländerthema seit Jahrzehnten bespiele, liegt derzeit in Umfragen über 30 Prozent.
Die Kritik von Deutschland und der EU an Österreich erinnert ein wenig an die Krise zwischen Österreich und dem Rest Europas im Jahre 2000. Damals ging die konservative ÖVP mit den Rechtspopulisten von der FPÖ eine Koalition ein. Die EU-Sanktionen sorgten in der Alpenrepublik für einen breiten Schulterschluss - das tun sie auch jetzt: zwei Monate vor der Bundespräsidentenwahl, bei der ÖVP und SPÖ ihre Kandidaten in eine gute Ausgangslage bringen wollen.
Der sozialdemokratische Kanzler, bis vor wenigen Monaten innerparteilich angezählt, als führungsschwach kritisiert und mit desolaten Umfrageergebnissen, kann sich plötzlich in Zustimmung sonnen. So hat die Frontstellung gegenüber Deutschland die rot-schwarze Koalition zusammengeschweißt. Harmonisch wie selten ziehen sozialdemokratische SPÖ und konservative ÖVP an einem Strang.
Eine wirklich dramatische und tiefgreifende Verschlechterung sei die aktuelle Situation aber nicht, meint Hofer. „Es ist nicht alles in Butter, aber das Verhältnis ist nicht zerrüttet.“ Auch in Berlin gibt es versöhnliche Töne. Klaus Brähmig (CDU), der Vorsitzende der deutsch-österreichischen Parlamentariergruppe, sieht es so: „Unsere beiden Länder verbindet ja mehr als anderthalb Jahre Krisenbewältigung in der Flüchtlingspolitik.“
Deutschland solle nicht belehrend auftreten, sagt Brähmig, schließlich habe Wien in der Flüchtlingskrise schon früher die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Und der SPD-Europapolitiker Axel Schäfer betont: „Nach wie vor ist unser Nachbarland ein zentraler Partner für uns. Im Unterschied zu manch anderem EU-Mitgliedstaat hat sich Wien einer europäischen Lösung nicht verschlossen.“