Analyse: Geheimaktion Chodorkowski lässt Putin glänzen

Moskau (dpa) - Als „Triumphator“, „Wladimir der Sieger“ und sogar „Putin, der Allmächtige“ findet sich der russische Präsident nach der Spezialoperation „Chodorkowski“ in Moskaus Medien wieder.

Selbst regierungskritische Kommentatoren sehen in Putins Gnadenakt für seinen Erzfeind Michail Chodorkowski einen klaren Sieg für den Kreml.

Chodorkowski ist weg aus Russland - vorerst in Berlin. Der 50-Jährige räumt ein, dass er für den Machtkampf mit Putin nicht das Geld und - nach zehn Jahren Haft - wohl auch nicht mehr die Kraft hat.

Der Ex-KGB-Offizier und frühere Geheimdienstchef Putin hatte ausgerechnet den Tag der Tschekisten, der Geheimdienstler in Russland, gewählt, um den berühmtesten Gefangenen des Landes aus dem Straflager zu entlassen. Es ist ein Geschenk nach Putins Geschmack, dass Chodorkowski nun am 20. Dezember, wenn die Geheimdienste in Russland feiern, sich immer auch an den Tag seiner Freiheit und des Wiedersehens mit seiner Familie erinnert.

Chodorkowskis Gnadengesuch sei ein klares Schuldeingeständnis, betonte Putins Sprecher Dmitri Peskow dazu. Der nach Deutschland gereiste Ex-Milliardär sieht das allerdings weiterhin anders. Er wertet die umstrittenen Urteile wegen Steuerhinterziehung, Öldiebstahls und Geldwäsche gegen sich als politische Inszenierungen, um ihn als Gegner Putins auszuschalten.

Dass Chodorkowski so kurz vor seiner im August ohnehin geplanten Entlassung nun Putin genau das gibt, worauf dieser immer gewartet hatte, das wirft in Moskau jede Menge Fragen auf. War es ein drohendes drittes Strafverfahren gegen den früheren Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos? War es die Aussicht, womöglich noch viele Jahre im Straflager sitzen zu müssen? Oder wollte er nach zehn Jahren in Haft endlich zu seiner Familie - zu seiner krebskranken Mutter?

Es war wohl die einfache Sehnsucht nach Freiheit. Putin jedenfalls habe als Meister überraschender Winkelzüge die Geheimoperation fein einfädeln lassen, meint die Moskauer Boulevardzeitung „MK“. Vor allem die zersplitterte russische Opposition habe darauf gewartet, dass Chodorkowski bis zu seinem Haftende ausharren möge, damit er „stolz und als geistiger Anführer“ das Straflager verlässt. Nicht nur bei „MK“ ist nun von einem Sieg Putins auf ganzer Linie zu lesen.

Vor Weihnachten und Neujahr steigere Putin mit seiner Begründung, er handele aus humanitären Gründen, zudem sein Ansehen in Russland und in der Welt, heißt es in vielen Kommentaren. Ein strenger „Zar“, der auch einmal gnädig sein kann. Und nicht zuletzt ringt der 61-Jährige nun auch dem Westen vor den ersten Olympischen Winterspielen in Russland nach all der Kritik an Menschenrechtsverstößen doch noch Lob ab.

Auch bei einem Treffen mit Kremlfunktionären am Tag der Entlassung Chodorkowskis ist zu spüren, dass Putin wohl nach den Massenprotesten gegen seine Politik 2011 und 2012 nun wieder vor Stärke und Selbstbewusstsein strotzt. Der russische Präsident sieht ein außenpolitisch erfolgreiches Jahr 2013 hinter sich.

Zuletzt brachte er die Ukraine davon ab, mit der Europäischen Union ein Abkommen zu schließen - und zog die Ex-Sowjetrepublik wieder enger an Russland heran. Auch die Fortschritte bei der Lösung des iranischen Atomkonflikts und bei der Vernichtung der Chemiewaffen in Syrien verbuchen die Russen auf ihrem Konto.

Mit dem bisher nicht geklärten Tod des im Londoner Exil lebenden Oligarchen Boris Beresowski verlor Putin zudem einen anderen wichtigen und finanzstarken Kritiker seiner Politik. Mit der vorzeitigen Freilassung Chodorkowskis demonstriere der Kremlchef nun seine „absolute Macht“, meinte die Politologin Lilija Schewzowa. „Er kann bestrafen und begnadigen, wie es ihm gefällt. Er reitet auf einer Welle. Er ist Gott!“, schrieb die Expertin.

Schewzowa warnt aber davor, in den Freilassungen auch anderer politischer Gefangener jetzt den Beginn eines politischen Tauwetters zu sehen. An den Verhältnissen in Russland mit dem harten Kurs gegen die Opposition, gegen Minderheiten wie Oppositionelle und Ausländer und mit einer insgesamt antiwestlichen Politik ändere sich nichts. Bei Chodorkowski zeige Putin nur, dass er seinen „brennenden Hass und die Lust am Erniedrigen seines früheren Widersachers“ verloren habe.