Analyse: Historische Stunde bei den Grünen
Berlin (dpa) - Nur zwei können gewinnen. Bei der Grünen-Urwahl traut sich niemand eine sichere Prognose zu. Die Inszenierung soll stimmen bei der Bekanntgabe des Bundestagswahl-Spitzenduos und seines ersten Auftritts.
Das Ergebnis verspricht Aufschluss zu interessanten Personalfragen.
Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke gibt die Namen der Sieger an diesem Samstag in einer hipp-rustikalen Location in Berlin-Wedding bekannt. Dort stellt sich das Spitzenkandidaten-Duo zwei Stunden später auch der Öffentlichkeit.
Doch wie steht es um die 13 Verlierer, die es rein rechnerisch auch geben wird? Cem Özdemir, der sich selbst nicht beworben hat, baut schon einmal vor. Die Grünen könnten sich ramponierte Spitzenpolitiker kaum leisten, sagt der Parteichef. „Wir werden alle brauchen. Denn der Wahlkampf wird hart werden.“
Knapp 62 Prozent schickten die Stimmzettel zurück - 36 533 der knapp 60 000 Mitglieder. Die Parteiführung sieht das als hohe Wahlbeteiligung. Knapp eine Woche lang saßen nun rund 50 Helfer für ein wenig Honorar in einer schmucklosen Halle der Uferstudios in Berlin an weißen Tischen. Sie absolvierten ein ausgeklügeltes Auszählungsverfahren, das in der Nacht zu Samstag enden sollte.
Zuerst überprüften sie die eidesstattlichen Erklärungen der Wähler, dass sie auch Parteimitglied sind. Dann ging es an die Auszählung der blauen Stimmzettel - die Stimmen wurden auf einzelnen Strichlisten notiert. Gezählt wurde doppelt, bei Unstimmigkeiten auf Listen notfalls dreifach.
Wäre Jürgen Trittin eine Frau, hätte es die Urwahl wohl gar nicht gebraucht, heißt es in der Partei. Denn der starke Mann des linken Flügels, Pragmatiker auf Regierungskurs, gilt selbst bei vielen Partei-Realos als unangefochten.
Im März sah es kurzzeitig so aus, als würde Trittin in grünen Hinterzimmern als Alleinkandidat ausgeklüngelt - bis Parteichefin Claudia Roth unter Verweis auf die Frauenquote dazwischengrätschte: „Mit mir als Bundesvorsitzende gibt's das nicht.“
Doch wer sollte sich zur Wahl stellen? 2009 machten es Trittin und Realo-Frontfrau Renate Künast. Doch starke Realo-Kräfte wollten die Fraktionschefin als Spitzenkandidatin verhindern. Vorgehalten wurden ihr Fehler bei ihrem Wahlkampf um das Amt des Berliner Regierungschefs. Als Alternative galt Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt - doch die zierte sich.
Bis Mitte August hatten sich Göring-Eckardt, Künast, Roth und Trittin dann erklärt. Es dauerte noch bis Anfang September, bis die Grünen die bereits angepeilte Urwahl einleiteten - als erste deutschen Partei. Bald waren es 15 Bewerber, 11 unbekannte Männer von der Basis hatten sich gemeldet. Per Fünf-Wochen-Tour stellten sich die Bewerber den Wählern.
Ist Trittins Stellung in der Partei wirklich so stark, wie es seit Jahren zunehmend scheint? Es könnten auch zwei Frauen gewinnen. Gelingt Künast nach der Berlin-Episode endgültig ein Comeback? Wie groß ist das aktuelle Standing Roths?
Rücken die Grünen mit Roth und Trittin weiter nach links? Oder schafft es Göring-Eckardt überraschend wieder in die erste Reihe? Göring-Eckardt/Trittin gilt bei vielen als charmante Variante.
Das Duo Roth/Trittin erscheint aussichtsreich - schließlich könnten sich die Realo-Frauen Künast und Göring-Eckardt das Wasser abgraben. Steffi Lemke lässt sich nur zu soviel hinreißen: „Ich erwarte, dass es zwischen den prominenten Bewerberinnen ein knappes Ergebnis werden kann.“