Analyse: In Ägypten regiert der Hass

Kairo/Istanbul (dpa) - „Hört auf mit dem Blutvergießen!“, ist die Botschaft, die das Ministerium für islamische Stiftungen den ägyptischen Imamen für ihre Freitagspredigt mitgegeben hat. Doch die Brandstifter in dem Land hören nicht mehr auf die Stimmen der Vernunft und Versöhnung.

Zwar haben die islamistischen Demonstranten und die Sicherheitskräfte an diesem „Freitag der Wut“ zunächst versucht, einander aus dem Weg zu gehen. Doch der Frieden hält nur wenige Minuten. Dann sausen in zwei Provinzstädten die ersten Steine der Demonstranten und Tränengas-Granaten der Polizei durch die Luft. Die Soldaten beschränken sich - wie schon während der Massenproteste gegen Präsident Husni Mubarak 2011 - darauf, einige zentrale Gebäude und Straßen zu sichern.

„Wir sind friedlich, unsere Anhänger zünden keine Kirchen an“, betont ein Sprecher der Muslimbruderschaft. Doch eine Antwort, auf die Frage, wer denn die Schuld an den mehr als 40 Angriffen auf christliche Einrichtungen trägt, bleiben sie schuldig.

Auch dürfte niemand ernsthaft bezweifeln, dass die bewaffneten Gruppen, die während der Demonstrationen mehrere Polizeistationen und Straßensperren in Kairo und in der Stadt Al-Arisch angreifen, aus den radikalen Islamisten-Parteien stammen. „Mitten im friedlichen Protest der Muslimbrüder gibt es Männer mit Gewehren, was von den friedlichen Demonstranten voll akzeptiert wird“, kommentiert der ägyptische Blogger Mahmud Salim, genannt „Sandmonkey“, sarkastisch.

Doch auch die Gegner der Islamisten sind nicht immer friedlich. Als sich ein Demonstrationszug auf dem Weg zu der zentralen Kundgebung am Ramses-Platz dem Armenviertel Bulak nähert, fliegen erst Steine aus mehreren Häusern. Aus dem Demonstrationszug lösen sich daraufhin mehrere Männer mit Schusswaffen. Sie feuern auf die umliegenden Häuser. Kurz darauf schlägt den Islamisten der blanke Hass der Bewohner des Armenviertels Bulak entgegen. Mit Messern und Schlagstöcken versperren sie den Demonstranten den Weg und drängen sie zurück auf die Nil-Insel Zamalek.

Einige der Politiker, die diesen Flächenbrand mit ihren Reden entfacht haben, schweigen, während sich der Hass auf den Straßen entlädt. Andere, die zwar Frieden gepredigt haben, aber letztlich erfolglos blieben, ziehen sich voller Abscheu über die Gewalt zurück. Vizepräsident Mohammed ElBaradei war der erste von ihnen. Am Freitag legt der Journalist Chalid Dawud sein Amt als Sprecher der Nationalen Rettungsfront nieder.

Dass sich die politischen Rivalen demnächst aus freien Stücken an einen Tisch setzen, um nach einem Ausweg aus der Krise zu suchen, ist eher unwahrscheinlich. Auch ausländische Vermittler können im Moment kaum einen Hebel ansetzen, um die Kontrahenten zu einem Kompromiss zu bewegen. Um den glücklosen Präsidenten Mohammed Mursi, der von der Armee bewacht irgendwo isoliert in einer Zelle sitzt, geht es in Ägypten schon lange nicht mehr.