Analyse: IS verliert den Mossul-Damm, nicht den Krieg

Bagdad/Damaskus (dpa) - Auch nach der Niederlage im Kampf um Iraks größte Talsperre kontrollieren die IS-Extremisten noch immer große Teile des Landes. In Syrien können sie ihre Herrschaft sogar ausbauen.

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Kurdische Soldaten spreizen ihre Finger zum „Victory“-Zeichen. Bilder im Internet zeigen erschöpfte, aber erleichterte Männer in Uniformen. Manche lächeln sogar. Der erste große Sieg der Peschmerga über die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) und die Rückeroberung des strategisch wichtigen Mossul-Staudamms im Nordirak nähren die Hoffnung, die Extremisten könnten bald in die Defensive geraten.

Doch trotz der täglichen US-Luftangriffe auf IS-Stellungen ist es noch lange nicht so weit. Im Nordirak mögen die Terrormilizen eine Schlacht verloren haben - anderenorts halten sie ihre Stellungen dagegen oder bauen ihre Gewaltherrschaft sogar aus.

So startete die irakische Armee vor einigen Tagen neue Angriffe auf IS-Kämpfer in der Stadt Tikrit 170 Kilometer nördlich von Bagdad. In nur wenigen Tagen, so ließen Militärs wissen, werde der Heimatort des früheren Diktators Saddam Hussein „befreit“ sein. Tatsächlich entpuppte sich die „Offensive“ schnell als Rohrkrepierer, weitere Erfolgsmeldungen der Armee blieben bisher aus.

Die Ereignisse erinnern an Kämpfe zwischen Soldaten und IS-Kämpfern Ende Juni. Auch damals verkündete die Armee eine „Offensive“ auf Tikrit, auch damals vermeldete ein Militärsprecher Erfolge über die Terrorgruppe. Das irakische Staatsfernsehen zeigte sogar Bilder, wie Soldaten angeblich auf dem Gelände von Tikrits Universität einrücken. Tatsächlich aber konnte die Regierung die Stadt bis heute nicht zurückerobern. Stattdessen kontrollieren die Terrorkämpfer den Militärflughafen Adschil in der Nähe Tikrits.

Weiter im Norden dürften die kurdischen Peschmerga trotz der US-Luftunterstützung erst dann in der Lage sein, größere Gebiete einzunehmen, wenn sie mit modernem Militärgerät ausgestattet werden. Bislang kämpfen die kurdischen Einheiten dort mit alten Waffen aus Sowjetzeiten, mit denen sie gegen die gepanzerten Fahrzeuge und die Artillerie des IS nicht ankommen können.

Die IS-Milizen schrecken in ihrem Kampf zugleich vor keiner Gräueltat zurück. Immer wieder attackieren Selbstmordattentäter ihre Gegner mit Autobomben. Zudem haben sie massiven Zulauf von neuen Kämpfern bekommen. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete Anfang der Woche, in Syrien hätten sich mehr als 6000 Männer den sunnitischen Extremisten angeschlossen, wohl auch, weil der IS seine Anhänger besser bezahlt als konkurrierende Milizen. Rund 50 000 Mann stark sollen die IS-Truppen sein.

Während die Extremisten im Irak große Gebiete im Norden und Westen kontrollieren, beherrschen sie im Norden und Ostens Syriens seit einiger Zeit rund ein Drittel der Fläche des Landes. Die Grenze zwischen den beiden Nachbarstaaten haben sie aufgelöst, Kämpfer und Waffen können ungehindert passieren.

So sind im Irak erbeutete Waffen offenbar auch bei einem IS-Angriff auf den ostsyrischen Militärflughafen Al-Tabka im Einsatz. Seit Tagen liefern sich Extremisten und Soldaten blutige Kämpfe um das Gelände. Sollte die Terrorgruppe siegen, hätte das Regime seine letzte Bastion in der Provinz Al-Rakka verloren. Die Extremisten könnten dann den Osten Syriens ziemlich unbehelligt kontrollieren.

Gleichzeitig rücken die IS-Milizen von Norden her immer näher an die Stadt Aleppo heran. Bislang beherrschen gemäßigtere Regimegegner große Teile der früheren Handelsmetropole. Sie aber geraten jetzt von zwei Seiten unter Druck, weil die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad gleichzeitig von Süden aus angreifen.

Sollten die gemäßigteren Kräfte Aleppo verlieren, würde sich der Bürgerkrieg in Syrien endgültig zu einem Zweikampf zwischen Regierungstruppen und der IS-Terrorgruppe entwickeln. Während der Westen im Nordirak die kurdischen Peschmerga unterstützt, gäbe es in Syrien dann nur noch die Wahl zwischen einem brutalen Regime und fanatischen Extremisten.