Analyse: Islamisten beschwören friedlichen Widerstand
Kairo (dpa) - Sie wollen nicht weichen, bis „ihr“ Präsident Mursi wieder im Amt ist. Während die Behörden reihenweise Haftbefehle gegen ihre Führer erlassen, beteuern die einfachen Muslimbrüder gewaltfreie Absichten.
Das Protestcamp der Muslimbrüder bei der Raba-al-Adawija-Moschee im Osten von Kairo wirkt verschlafen. Es ist am Mittwoch der erste Morgen im Fastenmonat Ramadan: Die Dauerdemonstranten haben das Frühstück vor Sonnenaufgang eingenommen und ruhen sich noch aus. Viele sitzen unter Zeltplanen und lesen still im Koran. Erst nach und nach bilden sich kleinere Gruppen, die mit Hochrufen auf Mohammed Mursi durch das riesige Camp ziehen. Den vor mehr als einem Jahr gewählten Präsidenten hatte das Militär vor einer Woche im Handstreich abgesetzt.
In das Feldlazarett neben der Moschee haben sie gerade einen Toten gebracht. Angeblich wurde die Leiche in der Tajaran-Straße gefunden, unweit des Offiziersclubs der Republikanischen Garde. Die Sicherheitskräfte hatten dort Montagfrüh auf protestierende Islamisten geschossen. Möglicherweise waren sie von einem Stoßtrupp provoziert worden, der die Kaserne stürmen wollte, in der die Muslimbrüder den vom Militär festgehaltenen Mursi vermuten. Über 50 Todesopfer hatte es gegeben, die meisten von ihnen Mursi-Anhänger.
Der Tote, den sie jetzt fanden, ist erst seit kurzem tot und weist Folterspuren auf. Dr. Ismail Haschisch, der diensthabende Arzt im Feldlazarett, zeigt auf große, blutunterlaufene Stellen auf dem Leichnam: „Trauma im Schulterbereich, Trauma und Bruch am Oberschenkel, Trauma im Bauch, wahrscheinlich die Todesursache.“ Eine nesselartige Verletzung rund um die Brustwarze deutet er als Indiz für die Anwendung von Elektroschocks. Als Todeszeitpunkt gibt er etwa 06.00 Uhr früh desselben Tages an.
Ausweise, die bei ihm gefunden wurden, weisen den Mann als den 37-jährigen Ingenieur Farid Schauki Mohammed aus. Versuche, Angehörige zu finden, seien bislang erfolglos geblieben, sagt der Arzt. Ob der Mann beim Sturm auf den Offiziersclub gefangen genommen und dort von den Sicherheitskräften zu Tode gefoltert worden sein könnte? „Das weiß ich nicht, ich bin kein Ermittler“, gibt der Arzt zurück.
Wer auch immer für den grausamen Tod dieses Mannes verantwortlich ist - er zeigt die Brutalität, mit der in Ägypten um die Macht gerungen wird. Auch die Muslimbruderschaft hat Männer unter Waffen - wie viele es sind, weiß man nicht. Ihr öffentlich sichtbarer Sicherheitsdienst, der die Zugänge zum Protestcamp kontrolliert, ist aber nur mit grünen Bauarbeiter-Helmen und Holzstöcken bewehrt. Damit hält sich dieser Trupp im Rahmen der geltenden Waffengesetze.
Gegen etliche noch auf freiem Fuß befindliche Spitzenkader der Organisation erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehle - wegen der angeblichen Aufhetzung zur Gewalt bei den Krawallen vor dem Offiziersclub. Offiziell haben die Islamisten-Führer die Parole zum Aufstand (Intifada) gegen die „Putschisten“ mit gewaltfreien Mitteln ausgegeben. Der am Mittwoch mit zur Verhaftung ausgeschriebene Hassprediger Safwat Hegasi malte zuletzt immerhin die Aussicht auf einen Konflikt an die Wand, der „alle Vorstellungskraft übersteigen“ würde.
Die Demonstranten bei der Raba-al-Adawija-Moschee unterstreichen hingegen in ihren Erklärungen die eigene Friedfertigkeit. „Entweder wir tragen Dr. Mursi auf unseren Schultern zurück in seinen Palast oder wir sterben als Märtyrer“, meint der 45-jährige Freiberufler Mohammed Said Mohammed Hamid. Als „unbewaffnete Märtyrer“, konkretisiert er auf Nachfrage. Denn die Gewalt würde stets vom Militär ausgehen, wie man auch an dem Blutbad vor dem Offiziersclub habe sehen können.
„Wir sind hier, Tag und Nacht, um die Welt unsere Botschaft wissen zu lassen“, sagt der 58-jährige Mustafa Ismail mit der etwas salbungsvollen Stimme des frommen Gläubigen. Der Marine-Ingenieur arbeitet sonst in Kuwait und hat sich eigens Urlaub genommen, um hier zu sein. „Wir haben nichts außer unserem Koran, unseren Gebeten und jetzt, im Ramadan, unserem Fasten.“