Analyse: Kerrys Etappensieg in Nahost
Tel Aviv (dpa) - Müde und etwas zerzaust, aber sichtlich erleichtert trat US-Außenminister John Kerry abends vor die Kameras auf dem Flughafen der jordanischen Hauptstadt Amman.
„Im Namen von Präsident (Barack) Obama kündige ich mit Genugtuung an, dass wir eine Übereinkunft erzielt haben, die eine Basis für die Wiederaufnahme direkter Verhandlungen über ein (den Konflikt) beendendes Abkommen bietet“, sagte er diplomatisch verklausuliert. Kerry verkündete damit einen wichtigen Etappensieg auf dem Weg zu einem Friedensschluss zwischen Israel und Palästinensern. Aber eben auch nur das.
„Das Übereinkommen muss noch formell ausgearbeitet werden, und deshalb werde ich auf keinen Fall hier jetzt über Einzelheiten sprechen“, fügte der US-Chefdiplomat hinzu. Ob in diesen Detailfragen noch der Teufel steckt oder ob es sich um zweitrangige Formalitäten handelt, könnte sich schon bald zeigen. Schon kommende Woche sollen die Unterhändler beider Seiten, Israels Justizministerin Zipi Livni und der palästinensische Verhandlungsveteran Saeb Erekat, direkte Gespräche in Washington aufnehmen.
Kerry warnte jedoch vor zu viel Öffentlichkeit. „Diese Gespräche haben am ehesten eine Chance auf Erfolg, wenn sie vertraulich gehalten werden“, sagte er. Welche Konzessionen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gemacht hatten, blieb denn auch unbekannt. Abbas hat bisher immer auf drei Vorbedingungen für Gespräche beharrt: die Anerkennung der Grenzen von 1967 als Grundlage von Verhandlungen, einen völligen israelischen Siedlungsstopp im Westjordanland und in Ost-Jerusalem sowie die Freilassung von mehr als 100 palästinensischen Langzeithäftlingen aus israelischen Gefängnissen.
Netanjahu hatte stets seine sofortige Verhandlungsbereitschaft betont, Vorbedingungen aber abgelehnt. Beide Politiker müssten mit wütenden Angriffen aus den eigenen Reihen rechnen, wenn sie von diesen Positionen abgewichen sein sollten. Livni hat keine Zweifel, was auf sie zukommt: „Ich weiß, dass die Gespräche, wenn sie einmal begonnen haben, kompliziert und nicht einfach werden“, schrieb sie auf ihrer Facebook-Seite. „Aber ich bin von ganzem Herzen davon überzeugt, dass dies das Richtige für unsere Zukunft, Sicherheit, Wirtschaft und die Werte Israels ist“.
Ganz anders sahen das Netanjahus Koalitionspartner Naftali Bennett von der Siedlerpartei Das Jüdische Haus und die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen. „Die Zwei-Staaten-Lösung ist tot. Wir müssen bauen, bauen, bauen“, forderte Bennett noch vor kurzem. Und die mit der gemäßigten Fatah von Abbas verfeindete radikal-islamische Hamas warnte, Gespräche mit Israel seien gefährlich, weil sie nur für den weiteren Siedlungsbau missbraucht würden.
Aber auch ohne solche Gegner werden Netanjahu und Abbas auf dieselben dicken Brocken stoßen wie die Beteiligten an früheren, gescheiterten Verhandlungsrunden. Die Grenzen von 1967 lehnt Netanjahu als nicht zu verteidigen ab, Abbas will aber höchstens dem Austausch kleiner Gebiete zustimmen. Zehntausende teils zu Gewalt bereite israelische Siedler müssten zwangsweise aus dem Westjordanland umgesiedelt werden. Abbas beansprucht den von Israel annektierten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt eines künftigen Palästinenserstaates. Netanjahu bezeichnet die Stadt mit den heiligen Stätten für Juden, Muslime und Christen dagegen als ewige und unteilbare Hauptstadt Israels, die offen für alle Gläubige sei.
Und dann gibt es da nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNRWA mehr als 4,9 Millionen registrierte palästinensische Flüchtlinge und deren Nachfahren aus dem Gebiet des heutigen Israel. Die Palästinenser fordern ihr Rückkehrrecht. In diesem Fall würden Juden zur Minderheit in Israel. Israel verlangt deshalb, dass die Palästinenser einen jüdischen Staat anerkennen. Die Flüchtlinge könnten dann im Zuge einer Zwei-Staaten-Lösung in einen künftigen Palästinenserstaat zurückkehren.
Zudem soll aus Sicht Israels ein Palästinenserstaat entmilitarisiert und dessen Grenzen rundum von israelischen Soldaten kontrolliert bleiben. Das entspricht nicht gerade dem souveränen Staat, von dem die Palästinenser träumen.