Analyse: Vom Wissen und Nichtwissen der Kanzlerin
Berlin (dpa) - Die Kanzlerin kündigt es gleich selbst an: Wer von ihr Aufklärung der US-Spähaffäre erwartet, wird enttäuscht werden.
Nur ein paar Minuten braucht Angela Merkel an diesem Freitagvormittag für ihre Bilanz der schwarz-gelben Koalition, die ihrer Ansicht nach zusammengefasst in einem Satz „die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung“ ist.
Sie erwähnt noch die Hilfe für die Flutopfer, dann geht sie zur millionenfachen Datenüberwachung des US-Geheimdienstes NSA über. Und Merkel hält Wort. Sie bringt kein Licht in das Dunkel des US-Ausspähprogramms „Prism“.
Merkel liest zunächst vom Blatt ab. Für einen Moment kann man den Eindruck gewinnen, die gewiefte Machtpolitikerin sei nervös. „Mir ist es völlig unmöglich, hier eine Analyse von "Prism" vorzunehmen“, macht sie - sechs Wochen nach den Enthüllungen durch den US-Geheimdienstexperten Edward Snowden - gleich zu Beginn ihres Auftritts vor Hauptstadtjournalisten in Berlin klar. Dabei sollte sie der bestinformierte Mensch in Deutschland sein. Ihr müssen alle zuständigen Minister, Geheimdienste und Botschafter zuliefern.
So bleibt die Frage im Raum, ob der ganze Apparat wirklich nichts weiß oder nichts sagen will oder nichts sagen kann, weil sonst sicherheitsrelevante Informationen preisgegeben und die Beziehungen zu den USA beschädigt würden. Selbst die Frage, ob es stimmt, dass die NSA in Wiesbaden ein Abhörzentrum baut, ist laut Merkel Gegenstand der Aufklärung. Kann man das glauben? Die Opposition nennt die Äußerungen eine Beleidigung der Öffentlichkeit.
Die Kanzlerin verschmerzt so etwas und macht das in einer Antwort auf die Frage nach der Motivation für ihre Arbeit klar: „Ich finde, dass die Arbeit der Bundeskanzlerin eine sehr schöne inspirierende Arbeit ist dahingehend, dass Sie immer wieder neue Probleme haben. Wer das nicht aushält, der kann nicht Bundeskanzler sein.“ Merkel hält das aus. Sie sitzt es aus. Das hat sie von Helmut Kohl gelernt. Nichts bringt sie während dieser 100-minütigen Pressekonferenz in dieser äußerst heiklen Angelegenheit in Bedrängnis, mögen ihre Antworten auch noch so unbefriedigend sein.
Wie ein Mantra wiederholt sie, dass auf deutschem Boden deutsches Recht eingehalten werden müsse und dass das auch für die Amerikaner gelte. Warum die USA das nicht längst zugesichert haben? „Ich kann doch nur zur Kenntnis nehmen, dass unsere amerikanischen Partner Zeit für die Prüfung brauchen“, antwortet Merkel. US-Präsident Barack Obama braucht also Zeit, um zu prüfen, ob er deutsches Recht respektiere. Merkel gibt ihm diese Zeit.
Sie hat dazu wohl keine Alternative, denn womit sollte sie den USA drohen? Dass es keinen Datenaustausch zwischen den deutschen und den amerikanischen Geheimdiensten mehr gibt? Bisher haben wohl eher die Deutschen von den Amerikanern profitiert als umgekehrt. In Krisenfällen wie bei Geiselnahmen fragte Deutschland auch nie viel, woher die Informationen kamen und unter welchen Umständen die USA womöglich an sie gekommen sind. Man nahm sie dankbar an.
Das jetzige Schweigen Washingtons nährt Vermutungen, dass den USA das deutsche Recht auf deutschem Boden eben relativ egal ist. Vielleicht hat es Verstöße gegeben und vielleicht ist das der Grund dafür, dass es keine schnelle Versicherung aus Washington gibt. Merkel schont die USA, indem sie nicht wie etwa Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) von Vertrauensverlust spricht, sondern nur sagt: „Hier sind Fragen des Vertrauens berührt.“ Ob sie noch mal mit Obama in der Angelegenheit telefoniert? Das mache wenig Sinn, sagt die Kanzlerin. „Die Fragen liegen vor. Die Erwartungshaltung ist klar.“
Merkel sagt, ihre Regierung gebe bei den Aufklärungsbemühungen der NSA-Affäre ein gutes Bild ab. „Da glaube ich, haben wir ein sehr überzeugendes Konzept. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das den Erwartungen der Menschen entspricht.“ So viel zum Thema, ob ihr der ganze Komplex die dritte Kanzlerschaft kosten könnte. Sie räumt aber ein, dass die Deutschen verunsichert seien. Und sie sagt, sie müssten sich darauf verlassen können, dass ihre Daten sicher seien. Ein Journalist fragt sie in Anlehnung an ihr Versprechen in der Finanzkrise, dass die deutschen Sparguthaben sicher seien, ob sie nun sage: „Eure Daten sind sicher?“ Merkel nimmt den Satz nicht auf.
Ist die Kanzlerin Snowden eigentlich dankbar für dessen Enthüllungen? Dadurch beschäftige sich die Regierung nun mit dem Thema, sagt sie trocken und schiebt nach: „Es ist vielleicht eine Antwort, die Sie nicht zufriedenstellt, aber es ist meine Antwort.“